Parkplatzunfälle: BGH zur Haftung bei zwei rückwärts ausparkenden Fahrzeugen
Bundesgerichtshof stärkt Rechte von Unfallopfern bei Parkplatzschäden – wichtige Klarstellung zur Beweislast
Auf einen Blick
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 15.12.2015 (VI ZR 6/15) eine wichtige Entscheidung für die Haftungsverteilung bei Parkplatzunfällen getroffen. Entgegen vieler Vorinstanzen urteilt das höchste deutsche Zivilgericht, dass der Anscheinsbeweis nicht gegen einen Fahrer spricht, dessen Fahrzeug bei der Kollision bereits stand – auch wenn er zuvor rückwärts ausgeparkt hatte.
Sachverhalt: Typischer Parkplatzunfall auf dem Baumarkt-Parkplatz
Der Fall betrifft einen klassischen Parkplatzunfall, wie er täglich vorkommt: Zwei Fahrzeuge parkten rückwärts aus gegenüberliegenden Parkbuchten aus und kollidierten in der dazwischen liegenden Fahrgasse. Der Kläger behauptete, sein Fahrzeug habe zum Unfallzeitpunkt bereits gestanden und in Fahrtrichtung gezeigt, als der Beklagte in sein stehendes Fahrzeug fuhr. Die Versicherung hatte vorab nur 50% des Schadens reguliert.
Die entscheidende Rechtsfrage
Die zentrale Frage des Verfahrens lautete: Spricht der Anscheinsbeweis gegen einen Fahrer, dessen ursprünglich rückwärtsfahrendes Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt möglicherweise bereits stand?
Die bisherige Rechtsprechung war uneinheitlich
Bislang gab es in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen:
- Meinung 1: Der Anscheinsbeweis spricht grundsätzlich gegen den Rückwärtsfahrenden, auch wenn sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt bereits kurzzeitig stand (u.a. KG Berlin, OLG Hamm).
- Meinung 2: Der Anscheinsbeweis gilt nicht mehr, wenn das Fahrzeug bereits zum Stehen gekommen war (u.a. LG Saarbrücken).
Die BGH-Entscheidung: Wichtige Klarstellung für Verkehrsunfallopfer
Der BGH hat nun klargestellt: Der Anscheinsbeweis gegen den ursprünglich
Rückwärtsfahrenden greift nicht, wenn dessen Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt bereits
stand.
Die Kernaussagen des BGH:
- § 9 Abs. 5 StVO nicht direkt anwendbar: Auf Parkplätzen gilt primär das allgemeine Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO, nicht direkt die strengere Regelung für Rückwärtsfahrende.
- Kein allgemeiner Erfahrungssatz: Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein zum Stillstand gekommener Fahrer seine Sorgfaltspflichten verletzt hat.
- Unterschied zum fließenden Verkehr: Anders als im fließenden Verkehr muss auf Parkplätzen jeder Verkehrsteilnehmer mit rückwärtsfahrenden und ein-/ausparkenden Fahrzeugen rechnen.
- Pflichterfüllung durch Anhalten: Wer es schafft, sein Fahrzeug vor einer Kollision anzuhalten, hat grundsätzlich seiner Sorgfaltspflicht genügt.
Praxisfolgen: Darauf müssen Sie nach einem Parkplatzunfall achten
Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Auswirkungen für die Regulierung von Parkplatzkollisionen:
- Dokumentieren Sie den Fahrzeugstand: Nach einem Unfall sollte unbedingt festgehalten werden, ob eines der Fahrzeuge bereits stand oder beide noch in Bewegung waren.
- Zeugenaussagen sichern: Sichern Sie Kontaktdaten unbeteiligter Zeugen, die den genauen Unfallhergang beobachtet haben.
- Beweislastumkehr möglich: Unter Umständen kann nun die Beweislast zum anderen Unfallbeteiligten wechseln.
- Sachverständigen einschalten: Bei größeren Schäden oder unklarer Schuldfrage ist die Einschaltung eines Sachverständigen ratsam.
Fazit: BGH stärkt Position von Unfallopfern auf Parkplätzen
Mit dieser Entscheidung hat der BGH die Position von Verkehrsunfallopfern gestärkt, die ihr Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen bringen konnten. Die pauschale Anwendung des Anscheinsbeweises gegen jeden, der zuvor rückwärts gefahren ist, ist nicht mehr zulässig. Stattdessen muss das gesamte Unfallgeschehen bewertet werden.
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Schlagworte: Verkehrsrecht, Parkplatzunfall, BGH-Urteil, Anscheinsbeweis, Haftungsverteilung, Verkehrsunfall, Beweislast, Rückwärtsfahren