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Zahnersatz-Regress: Zahnarzt haftet nicht bei Umzug des Patienten – Wichtiges LSG-Urteil

Zusammenfassung

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat in einem wegweisenden Urteil entschieden: Ein Zahnarzt muss keinen Schadensregress leisten, wenn eine Nachbesserung aufgrund eines Patientenumzugs nicht erfolgen kann. Selbst bei mangelhaftem Zahnersatz haftet der Behandler nicht, wenn die Unzumutbarkeit der Nachbesserung nicht im Behandlungsverhältnis begründet ist. Der Fall zeigt die Grenzen der zahnärztlichen Gewährleistungspflicht auf und gibt wichtige Hinweise für die Praxis.

Der Fall

Eine 90-jährige Patientin erhielt im September 2008 von einem Zahnarzt in H. eine Teleskopprothese im Oberkiefer. Dabei wurden die Zähne 13 und 23 mit Teleskopkronen versorgt und die übrigen Zähne durch eine Teleskopprothese ersetzt. Die Krankenkasse gewährte hierfür einen Festzuschuss von 1.006,14 Euro

Anfang 2010 zog die Patientin in ein anderes Bundesland. Gegenüber ihrer Krankenkasse beklagte sie anschließend Mängel am Zahnersatz:

  • die Prothese sei zu locker
  • sie falle beim Essen heraus
  • die Zähne seien zu groß
  • Essensreste blieben hinter der Prothese hängen

Ein Gutachter bestätigte die Mängel und stellte fest, dass die Oberkiefer-Prothese nicht funktionsfähig sei. Die Friktion zwischen Primär- und Sekundärkronen sei nicht ausreichend.

Der Rechtsstreit um den Schadensregress

Die Krankenkasse stimmte nach anfänglicher Ablehnung einem Behandlerwechsel am neuen Wohnort der Patientin zu und genehmigte eine Neuversorgung. Gleichzeitig forderte sie von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) einen Regress gegen den ursprünglichen Zahnarzt in Höhe des gezahlten Festzuschusses.

Die KZV setzte diesen Regress fest, wogegen der Zahnarzt zunächst Widerspruch und später Klage erhob. Er argumentierte, dass:

  1. Die Patientin nach Eingliederung nur einmal wegen einer Druckstelle behandelt werden musste.
  2. Er die Teleskopkronen zu keinem Zeitpunkt ausgeschliffen habe.
  3. Die Patientin einen Termin zur Nachbesserung wegen ihres Umzugs nicht wahrgenommen habe.

Die Entscheidung des Landessozialgerichts

Das LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 19.05.2017, Az. L 3 KA 108/12) bestätigte die Entscheidung des Sozialgerichts Bremen und hob den Regressbescheid auf. Der Zahnarzt musste den Festzuschuss nicht zurückzahlen.

Die wesentlichen Entscheidungsgründe:

  1. Mangelhaftigkeit des Zahnersatzes: Das Gericht bestätigte, dass der eingegliederte Zahnersatz mangelhaft war. Die Friktion der Teleskopkronen war nicht ausreichend und es lagen Frühkontakte vor.
  2. Möglichkeit der Nachbesserung: Die festgestellten Mängel hätten durch übliche Nachbesserungsmaßnahmen beseitigt werden können (Gaumenerweiterung der Prothese, Einschleifen der Okklusionskontakte, Optimierung der Friktion).
  3. Keine Unzumutbarkeit aus dem Behandlungsverhältnis: Entscheidend war, dass keine aus dem Behandlungsverhältnis resultierenden Umstände vorlagen, die eine Nachbesserung durch den ursprünglichen Zahnarzt unzumutbar gemacht hätten.
  4. Umzug als externer Grund: Der Umzug der Patientin in ein anderes Bundesland beruhte auf ihrer eigenen Entscheidung und stand in keinem Zusammenhang mit dem Behandlungsverhältnis.

Das Gericht stellte klar: „Zu ersetzen sind nur diejenigen Schäden, die der Krankenkasse aufgrund eines schuldhaft vertragswidrigen Verhaltens des Vertragszahnarztes entstehen.“

Bedeutung für die Praxis

Diese Entscheidung hat wichtige Implikationen für die zahnärztliche Praxis und das Versorgungssystem:

  1. Grenzen der Gewährleistungspflicht: Die Gewährleistungspflicht des Zahnarztes wird durch persönliche Entscheidungen des Patienten (wie einen Umzug) begrenzt.
  2. Nachbesserungsrecht des Zahnarztes: Der Vertragszahnarzt hat nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht zur Nachbesserung mangelhafter Leistungen.
  3. Differenzierung der Unzumutbarkeitsgründe: Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit einer Nachbesserung ist entscheidend, ob die Gründe im Behandlungsverhältnis liegen oder auf externen Faktoren beruhen.
  4. Schadenshöhe: Ein etwaiger Schaden kann nur in den zusätzlichen Kosten bestehen, die der Krankenkasse durch eine notwendige Zweitbehandlung entstehen.

Praxistipps für Zahnärzte und Patienten

Für Zahnärzte:

  • Dokumentieren Sie den Behandlungsverlauf sorgfältig, besonders bei prothetischen Versorgungen,
  • Bieten Sie bei Mängeln zeitnah Nachbesserungsmaßnahmen an,
  • Weisen Sie Patienten auf die zweijährige Gewährleistungspflicht hin.

Für Patienten:

  • Informieren Sie Ihren Zahnarzt bei Umzugsplänen frühzeitig.
  • Geben Sie dem behandelnden Zahnarzt bei Mängeln ausreichend Gelegenheit zur Nachbesserung.
  • Klären Sie mit Ihrer Krankenkasse vorab die Kostenübernahme bei einem Behandlerwechsel.

Fazit

Das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen verdeutlicht, dass die Gewährleistungspflicht des Zahnarztes nicht grenzenlos ist. Bei mangelhaftem Zahnersatz besteht ein Nachbesserungsrecht des Behandlers, dessen Nichtwahrnehmung aufgrund eines Patientenumzugs nicht zu einer Regressforderung führen kann. Die Entscheidung bringt Rechtssicherheit für Zahnärzte und zeigt gleichzeitig die Grenzen des Leistungsanspruchs der Krankenkassen auf.


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Schlagworte: Zahnarzthaftung, Zahnersatz, Schadensregress, Gewährleistungspflicht, Medizinrecht,
Kassenzahnärztliche Vereinigung, Teleskopprothese, LSG Niedersachsen-Bremen

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