Unfall an Ampelkreuzung: Wer haftet bei Kollision zwischen Links- und Rechtsabbieger?
Kammergericht Berlin vom 31. Januar 2019 (Az. 22 U 211/16)
Das Wichtigste in Kürze
- Kernaussage: Rechtsabbieger haftet allein, wenn er bei Rot losfährt
- Besonderheit: Ampelregelung hat Vorrang vor allgemeinen Verkehrsregeln
- Schadensersatz: 8.258,70 € plus Schmerzensgeld
Der Unfallhergang
An einer stark frequentierten Berliner Kreuzung (Alexander-/Holzmarkt-/Stralauer Straße) ereignete sich ein typischer Abbiegeunfall. Ein Linksabbieger kollidierte mit einer entgegenkommenden Rechtsabbiegerin. Die Kollision erfolgte an der Front des Rechtsabbiegers und hinten rechts am Fahrzeug des Linksabbiegers.
Die Rechtslage: Ampel schlägt Vorfahrt
Grundsatz bei ampelgeregelten Kreuzungen
Das Kammergericht Berlin stellte einen wichtigen Grundsatz klar: Bei ampelgeregelten Kreuzungen gelten die Lichtzeichen vorrangig (§ 37 Abs. 1 S. 1 StVO). Die allgemeinen Abbiegevorschriften des § 9 StVO treten zurück.
Anscheinsbeweis greift nicht
Anders als bei nicht-ampelgeregelten Kreuzungen greift hier kein Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger. Der sonst übliche Anscheinsbeweis, dass Linksabbieger ihre Wartepflicht verletzt haben, funktioniert bei separaten Ampelphasen nicht.
Beweislast und Verschulden
Was musste bewiesen werden?
Die beklagte Rechtsabbiegerin hätte beweisen müssen, dass:
- Der Linksabbieger bei Rot losgefahren ist
- Ein Verkehrsverstoß des Linksabbiegers vorlag
Warum der Beweis scheiterte
Der Beweis gelang nicht, weil:
- Der Linksabbieger glaubhaft bei Grün gefahren war
- Der einzige Zeuge nur die Ampel der Rechtsabbiegerin sehen konnte
- Diese Ampel bereits auf Rot geschaltet hatte
- Starker Fuß- und Radverkehr die Rechtsabbiegerin am rechtzeitigen Abbiegen hinderte
Kreuzungsräumer: Mythos des Vorrangs
Wichtige Klarstellung des Gerichts
Das KG Berlin räumte mit einem weitverbreiteten Irrtum auf: Kreuzungsräumer haben keinen automatischen Vorrang!
Die korrekte Rechtslage:
- Kreuzungsräumer müssen sich mit dem Bevorrechtigten verständigen (§ 11 Abs. 3 StVO)
- Ohne eindeutige Verständigung dürfen sie nicht fahren
- Der Bevorrechtigte verliert seinen Vorrang nicht automatisch
- Bei Unfällen: Meist hälftige Haftung, hier aber Alleinhaftung wegen unterlassener Verständigung
Praktische Tipps für Verkehrsteilnehmer
Für Linksabbieger
- ✅ Bei Grün fahren und auf Gegenverkehr achten
- ✅ Auf verkehrsgerechtes Verhalten anderer vertrauen dürfen
- ✅ Keine Pflicht zur Antizipation von Regelverstößen
Für Rechtsabbieger
- ⚠ Bei Rot stehen bleiben, auch bei starkem Verkehr
- ⚠ Als Kreuzungsräumer: Verständigung mit Bevorrechtigten erforderlich
- ⚠ Kein „Gewohnheitsrecht“ durch häufiges Fahren bei Rot
Schadensersatz und Schmerzensgeld
Zugesprochene Leistungen
- Wiederbeschaffungsaufwand: 6.200,00 €
- Nutzungsausfall: 910,00 € (14 Tage à 65 €)
- Gutachtenkosten: 868,70 €
- Sonstige Kosten: 50,00 €
- Schmerzensgeld: 250,00 €
- Gesamt: 8.258,70 € plus Zinsen
Nicht erstattungsfähig
- An- und Abmeldepauschalen (keine Rechtsgrundlage für Pauschalierung)
Bedeutung für die Praxis
Für Geschädigte:
- Ampelregelung stärkt Position von Linksabbiegern
- Anscheinsbeweis hilft Rechtsabbiegern nicht
- Vollständige Schadensersatzansprüche bei klarer Rechtslage
Versicherungen
- Sorgfältige Prüfung der Ampelsituation erforderlich
- Zeugenaussagen zur Ampelphase entscheidend
- Kreuzungsräumer-Argument oft nicht durchsetzbar
Fazit
Das Urteil des KG Berlin zeigt: Ampelregelungen sind eindeutig zu befolgen. Weder Zeitdruck noch starker Verkehr rechtfertigen das Fahren bei Rot. Kreuzungsräumer haben keinen automatischen Vorrang und müssen sich regelkonform verhalten. Bei Verkehrsunfällen mit Abbiegevorgängen kommt es entscheidend auf die konkrete Ampelsituation an. Eine frühzeitige anwaltliche Beratung kann helfen, Ansprüche erfolgreich durchzusetzen.
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