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Fahrerlaubnisentziehung bei Unfallflucht: OLG Hamm verschärft Beweisanforderungen

Oberlandesgericht Hamm-Beschluss vom 05.04.2022 (Az. 5 RVs 31/22)

Das Wichtigste in Kürze

Das Oberlandesgericht Hamm hat mit seinem Beschluss vom 05.04.2022 (Az. 5 RVs 31/22) entscheidende Klarstellungen zur Fahrerlaubnisentziehung bei Unfallflucht getroffen. Das Urteil zeigt auf, welche strengen Beweisanforderungen Gerichte bei der Feststellung eines „bedeutenden Schadens“ erfüllen müssen.

Der Fall: Unfallflucht mit knapp 1.800 Euro Schaden

Der Fall betraf einen Autofahrer, der beim Ausparken ein anderes Fahrzeug beschädigte und anschließend unerlaubt vom Unfallort entfernte. Der entstandene Sachschaden belief sich auf 1.768,86 Euro. Das Amtsgericht Gelsenkirchen und das Landgericht Essen verhängten daraufhin:

Vorstrafen des Fahrers:

  • Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 100 Euro
  • Fahrerlaubnisentziehung mit sechsmonatiger Sperrfrist
  • Geldbuße von 35 Euro wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Rechtliche Grundlage: § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB

Nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung vor, wenn der Täter einer Verkehrsunfallflucht weiß oder wissen kann, dass durch den Unfall an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden ist. Die Grenze für einen „bedeutenden Schaden“ liegt nach aktueller Rechtsprechung bei mindestens 1.500 Euro (angepasst an die Preisentwicklung).

Entscheidung des OLG Hamm: Beweisanforderungen verschärft

Das OLG Hamm hob die Fahrerlaubnisentziehung auf und verwies die Sache zurück. Die Richter kritisierten einen Darlegungsmangel bei den Urteilsfeststellungen zur Schadenshöhe.

Unzureichende Schadensdarstellung

Das Landgericht hatte lediglich mitgeteilt, dass ein Sachschaden von 1.768,86 Euro entstanden sei, ohne die einzelnen Kostenpositionen aufzuschlüsseln. Da dieser Betrag nur geringfügig über der Grenze von 1.500 Euro lag, reichte diese pauschale Angabe nicht aus.

Erforderliche Nachweise

Bei Unfallschäden, die nicht offensichtlich die Grenze für „bedeutenden Schaden“ überschreiten, müssen Gerichte detailliert darlegen.

  • Welche konkreten unfallbedingten Schäden entstanden sind
  • Wie diese wertmäßig zu beziffern sind
  • Welche Kostenpositionen zivilrechtlich erstattungsfähig sind

Dies kann regelmäßig durch ein Kfz-Sachverständigengutachten oder einen aussagekräftigen Kostenvoranschlag geschehen.

Praktische Auswirkungen für Betroffene

Für Beschuldigte bei Unfallflucht

Das Urteil stärkt die Rechte von Beschuldigten erheblich. Bei Schäden im Grenzbereich um 1.500 Euro können unzureichende Beweisführungen der Anklage erfolgreich angegriffen werden.

Für die Rechtspraxis

Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen künftig präziser bei der Schadensdarstellung vorgehen. Bloße Kostenvoranschläge ohne Aufschlüsselung reichen nicht mehr aus.

Verteidigungsstrategien bei Verkehrsunfallflucht

Sachverständigengutachten hinterfragen

Bei Fahrerlaubnisentziehungen wegen Unfallflucht sollte stets geprüft werden:

  • Sind alle Schadensposten zivilrechtlich erstattungsfähig?
  • Wurden nur unfallbedingte Schäden berücksichtigt?
  • Sind Nebenkosten wie Mietwagenkosten zu Unrecht einbezogen?

Revision bei Beweismängeln

Das OLG Hamm zeigt, dass auch bei rechtskräftigen Urteilen Erfolgschancen bestehen, wenn die Schadensdarstellung unzureichend ist.

Fazit: Strengere Maßstäbe für Fahrerlaubnisentziehung

Der Beschluss des OLG Hamm setzt wichtige Akzente für die Rechtspraxis. Gerichte müssen bei der Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 StGB präziser argumentieren und alle Kostenpositionen transparent darlegen. Für Betroffene eröffnet dies neue Verteidigungsmöglichkeiten.


Fundstelle: OLG Hamm, Beschluss vom 05.04.2022 – 5 RVs 31/22, openJur 2022, 8571

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