Aufklärungspflicht bei Herzoperationen: Was Patienten wissen müssen
KG Berlin – Urteil vom 12.03.2018 – 20 U 127/16
Das Wichtigste in Kürze
Das Kammergericht Berlin hat in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass Ärzte bei komplexen Herzoperationen umfassend über alle wesentlichen Risiken aufklären müssen. Der Fall zeigt, welche hohen Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht gestellt werden – und wann eine Behandlungsalternative nicht aufklärungspflichtig ist.
Der Fall: Komplikationen bei Vorhofohrverschluss
Ein 78-jähriger Patient litt unter permanentem Vorhofflimmern und hatte bereits einen Schlaganfall erlitten. Da gerinnungshemmende Medikamente aufgrund einer Hirnblutung nicht mehr verabreicht werden konnten, empfahlen die Ärzte eine Implantation eines sogenannten „Watchman-Implantats“ zum Verschluss des linken Vorhofohrs.
Schwerwiegende Komplikationen
Bei dem Eingriff kam es zu einer Perforation des linken Vorhofohrs, die folgende schwerwiegende Komplikationen zur Folge hatte:
- Perikarderguß (Blutansammlung im Herzbeutel)
- Perikardtamponade (lebensbedrohliche Herzkompression)
- Notwendigkeit einer offenen herzchirurgischen Operation
- Intensive medizinische Behandlung
Der Patient forderte daraufhin 100.000 Euro Schmerzensgeld sowie Schadensersatz.
Die rechtlichen Streitpunkte
1. Aufklärung über Behandlungsalternativen
Der Patient argumentierte, er sei nicht über die Behandlungsalternative mit ASS
(Acetylsalicylsäure) aufgeklärt worden. Das Gericht stellte jedoch fest:
Bei dem hohen Schlaganfallrisiko des Patienten (CHA2DS2-VASc-Score von 7 Punkten) war die
ASS-Medikation keine gleichwertige Alternative zur Implantation.
Wichtige Erkenntnis für Patienten: Ärzte müssen nur über gleichwertige
Behandlungsalternativen aufklären. Deutlich unterlegene Therapieoptionen sind nicht
aufklärungspflichtig.
2. Risikoaufklärung bei der Operation
Der entscheidende Streitpunkt war die Frage: War die Risikoaufklärung ausreichend?
Das Gericht prüfte ausführlich, ob der Patient über folgende Risiken aufgeklärt wurde:
- Perforation des Vorhofs
- Perikarderguß und Perikardtamponade
- Notwendigkeit einer Notoperation am offenen Herzen
- Todesrisiko
Die Beweisaufnahme: Zeugenvernehmung entscheidend
Aufklärungsbogen reicht nicht aus
Das Gericht stellte klar: Ein ausgefüllter Aufklärungsbogen allein beweist noch nicht den Inhalt des Aufklärungsgesprächs. Entscheidend ist das tatsächlich geführte Gespräch zwischen Arzt und Patient.
Zeugenaussagen im Detail
Das Gericht vernahm zwei Zeuginnen:
- Die aufklärende Ärztin Dr. D.
- Die Lebensgefährtin des Patienten (Frau B.)
Ergebnis: Trotz unterschiedlicher Erinnerungen der Zeuginnen kam das Gericht zu dem Schluss,
dass eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hatte.
Rechtliche Grundsätze zur Aufklärungspflicht
Anforderungen an den Beweis
Das Urteil bestätigt wichtige Grundsätze:
- Keine übertriebenen Anforderungen: Ärzte müssen sich nicht an jedes Detail eines Jahre zurückliegenden Gesprächs erinnern.
- Ständige Übung genügt: Wenn nachgewiesen wird, dass Aufklärungsgespräche nach einer festen, ausnahmslosen Routine erfolgen.
- Dokumentation als Indiz: Aufklärungsbögen haben Indizwirkung, beweisen aber nicht den konkreten Gesprächsinhalt.
Bewertung von Zeugenaussagen
Besonders interessant: Das Gericht erklärte plausibel, warum die Lebensgefährtin sich nicht an alle Risiken erinnerte:
- Mehrfachbelastung: Sie musste für den schwerhörigen Partner „übersetzen“
- Optimismus: Großes Vertrauen in die Klinik
- Verdrängung: Angst vor den genannten Risiken
Praktische Tipps für Patienten
Vor der Operation
- Nachfragen: Lassen Sie sich alle Risiken detailliert erklären.
- Begleitung: Bringen Sie eine Vertrauensperson mit.
- Notizen: Machen Sie sich Notizen während des Aufklärungsgesprächs.
- Bedenkzeit: Fordern Sie ausreichend Zeit für Ihre Entscheidung.
Rechtliche Absicherung
- Dokumentation: Notieren Sie sich Datum, Uhrzeit und Gesprächsinhalte.
- Zeugen: Sorgen Sie für anwesende Zeugen beim Aufklärungsgespräch.
- Nachfragen: Scheuen Sie sich nicht vor „dummen“ Fragen.
Wann liegt ein Aufklärungsfehler vor?
Diese Punkte sind aufklärungspflichtig
- Alle wesentlichen Operationsrisiken
- Mögliche schwerwiegende Komplikationen
- Gleichwertige Behandlungsalternativen
- Nachbehandlung und Heilungsaussichten
Diese Punkte sind NICHT aufklärungspflichtig
- Unterlegene Therapiealternativen (wie im vorliegenden Fall die ASS-Therapie)
- Extrem seltene Risiken ohne besondere Bedeutung
- Selbstverständliche Behandlungsschritte
Fazit: Hohe Hürden für Schadenersatz
Das Urteil zeigt: Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an den Nachweis von Aufklärungsfehlern. Patienten müssen konkret beweisen können, dass:
- Eine unzureichende Aufklärung stattgefunden hat
- Bei ordnungsgemäßer Aufklärung eine andere Entscheidung getroffen worden wäre
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Schlagwörter: Aufklärungspflicht, Herzoperation, Behandlungsfehler, Schmerzensgeld, Arzthaftung, Vorhofflimmern, Watchman-Implantat, KG Berlin