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BGH-Urteil zur Betriebskostenabrechnung: Wann Vermieter trotz Einwendungsausschluss zurückzahlen müssen

BGH, Urteil vom 11.05.2016 – VIII ZR 209/15

Das Wichtigste in Kürze

Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass sich Vermieter unter bestimmten Umständen nicht auf den Einwendungsausschluss nach § 556 Abs. 3 Satz 6 BGB berufen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie selbst in der Abrechnung darauf hinweisen, dass bestimmte Kosten nicht umlagefähig sind.

Der Fall: Fehlerhafte Betriebskostenabrechnung trotz fachlicher Kompetenz

Sachverhalt

  • Mieter: Familie in Ratingen seit Juli 2011
  • Vermieter: Vereidigter Buchprüfer und Fachanwalt für Steuer- und Strafrecht
  • Streitgegenstand: Betriebskostenabrechnung für 2011 mit mehreren Fehlern
  • Streitwert: 1.489,35 € (aufgeteilt in zwei Positionen)

Die Abrechnungsfehler im Detail

Der Vermieter machte zwei schwerwiegende Fehler:

  1. Nicht umlagefähige Kosten (789,35 €): Er berechnete Verwaltungs-, Instandhaltungskosten und Rücklagen, obwohl diese in der beigefügten Abrechnung der Wohnungseigentümergemeinschaft ausdrücklich als „nicht umlagefähige Gemeinschaftskosten“ bezeichnet waren.
  2. Zu niedrig angesetzte Vorauszahlungen (700 €): Er berücksichtigte nur 2.100 € statt der tatsächlich geleisteten 2.800 € Vorauszahlungen.

Die Rechtslage: Einwendungsausschluss nach § 556 BGB

Grundsätzliche Regelung

Nach § 556 Abs. 3 Satz 5, 6 BGB müssen Mieter Einwendungen gegen Betriebskostenabrechnungen innerhalb von 12 Monaten nach Zugang erheben. Nach Fristablauf sind sie grundsätzlich ausgeschlossen.

Zweck der Regelung

  • Rechtsfrieden: Schnelle Klärung von Abrechnungsstreitigkeiten
  • Ausgewogenheit: Pendant zum Nachforderungsausschluss für Vermieter
  • Planungssicherheit: Für beide Vertragsparteien

Die BGH-Entscheidung: Zwei unterschiedliche Bewertungen

1. Vorauszahlungsfehler: Einwendungsausschluss greift

Ergebnis: Die 700 € für zu niedrig angesetzte Vorauszahlungen konnten nicht zurückgefordert werden.

Begründung:

  • Formell ordnungsgemäße Abrechnung löst Einwendungsfrist aus
  • Inhaltliche Fehler berühren formelle Ordnungsgemäßheit nicht
  • Mieter haben Einwendungen erst nach 22 Monaten erhoben
  • Kein treuwidriges Verhalten des Vermieters erkennbar

Nicht umlagefähige Kosten: Treuwidrigkeit verhindert Einwendungsausschluss

Ergebnis: Die 789,35 € für nicht umlagefähige Kosten mussten zurückgezahlt werden.

Begründung:

  • Grundsätzlich gilt der Einwendungsausschluss auch für generell nicht umlagefähige Kosten
  • Aber: Treuwidrigkeit nach § 242 BGB verhindert Berufung auf Einwendungsausschluss
  • Vermieter hatte selbst auf „nicht umlagefähige Gemeinschaftskosten“ in beigefügter Abrechnung hingewiesen
  • Er muss sich an seiner eigenen Bezeichnung festhalten lassen

Praktische Bedeutung für Vermieter

Was Vermieter beachten sollten:

  1. Sorgfältige Prüfung: Auch bei Übernahme von Hausverwalter-Abrechnungen alle Positionen kontrollieren
  2. Eindeutige Abgrenzung: Nicht umlagefähige Kosten vor Weiterleitung an Mieter herausrechnen
  3. Vollständige Vorauszahlungsverrechnung: Alle geleisteten Zahlungen berücksichtigen
  4. Widerspruchsfreie Kommunikation: Keine gegensätzlichen Aussagen in Abrechnungsunterlagen

Risiken vermeiden

  • Haftungsrisiko: Auch fachkundige Vermieter müssen sorgfältig arbeiten
  • Vertrauensschutz: Mieter dürfen auf Vermieterangaben vertrauen
  • Dokumentation: Alle Abrechnungsschritte nachvollziehbar dokumentieren

Bedeutung für Mieter

Ihre Rechte und Pflichten

Rechte:

  • Anspruch auf ordnungsgemäße Abrechnung
  • Schutz vor treuwidrigem Verhalten des Vermieters
  • Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge bei Treuwidrigkeit

Pflichten:

  • Rechtzeitige Einwendungen (12-Monats-Frist)
  • Sorgfältige Prüfung der Abrechnung
  • Substanziierte Beanstandungen

Wann trotz verspäteter Einwendungen Erfolg möglich ist

  • Vermieter bezeichnet Kosten selbst als nicht umlagefähig
  • Widersprüchliche Angaben in Abrechnungsunterlagen
  • Offensichtlich treuwidriges Verhalten

Fazit und Ausblick

Kernaussagen des Urteils

  • Einwendungsausschluss gilt grundsätzlich umfassend – auch für generell nicht umlagefähige Kosten
  • Treu und Glauben setzt Grenzen – bei widersprüchlichem Verhalten des Vermieters
  • Fachkompetenz schützt nicht vor Haftung – auch Experten müssen sorgfältig arbeiten
  • Dokumentation ist entscheidend – was in Abrechnungsunterlagen steht, bindet

Empfehlungen für die Praxis

Für Vermieter:

  • Systematische Abrechnungskontrolle etablieren
  • Eindeutige, widerspruchsfreie Kommunikation
  • Bei Unsicherheiten rechtliche Beratung einholen

Für Mieter:

  • Abrechnungen zeitnah und gründlich prüfen
  • Bei Unstimmigkeiten sofort reagieren
  • Widersprüchliche Angaben dokumentieren

Langfristige Auswirkungen

Dieses Urteil stärkt das Vertrauen in faire Abrechnungspraktiken und zeigt, dass auch der Einwendungsausschluss seine Grenzen hat. Es fordert von Vermietern höhere Sorgfaltsstandards und schützt Mieter vor widersprüchlichem Verhalten.


Dieser Beitrag stellt eine juristische Einschätzung dar und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.

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