Linksabbieger haftet vollständig bei Kollision mit überholendem Fahrzeug
Zusammenfassung des Urteils des LG Hamburg (Az.: 302 O 220/14) vom 23.01.2015
In einem wegweisenden Verkehrsrechtsfall hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass ein Linksabbieger bei einem Unfall mit einem überholenden Fahrzeug vollständig haftet, wenn er seine Abbiegeabsicht nicht deutlich angezeigt hat. Das Urteil unterstreicht die besondere Sorgfaltspflicht beim Abbiegen in Grundstückseinfahrten und hat wichtige Konsequenzen für ähnliche Verkehrsunfälle.
Unfallhergang
Am 5. März 2014 gegen 11:10 Uhr ereignete sich in der W.-Straße ein Verkehrsunfall zwischen einem überholenden PKW und einem nach links abbiegenden Kleinlastwagen:
- Der Kläger (PKW-Fahrer) setzte zum Überholen des vor ihm fahrenden und langsamer werdenden LKW an.
- Als sich beide Fahrzeuge auf gleicher Höhe befanden, bog der LKW-Fahrer (Beklagter) nach links in die Einfahrt des Hauses Nr. 7 ab.
- Die Fahrzeuge kollidierten seitlich.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht Hamburg (Az.: 302 O 220/14) entschied am 23.01.2015 zugunsten des überholenden Fahrzeugführers und verurteilte den Linksabbieger und dessen Versicherung als Gesamtschuldner zur vollständigen Haftung. Die wichtigsten Gründe:
- Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO: Der Linksabbieger hat die ihm obliegende besondere Sorgfaltspflicht beim Abbiegen in ein Grundstück verletzt.
- Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger: Bei Kollisionen zwischen einem links in eine Grundstückseinfahrt abbiegenden Fahrzeug und einem überholenden PKW spricht grundsätzlich der erste Anschein für ein Verschulden des Abbiegenden.
- Keine Beweiserbringung für Blinken und Einordnen: Die Beklagten konnten nicht beweisen, dass der LKW-Fahrer seine Abbiegeabsicht durch rechtzeitiges Blinken ankündigte oder sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet hatte.
- Kein Mitverschulden des Überholenden: Dem überholenden Fahrer wurde kein Mitverschulden angelastet, da keine unklare Verkehrslage vorlag und keine überhöhte Geschwindigkeit bewiesen werden konnte.
Die zugesprochenen Schadensersatzansprüche
Der Kläger erhielt folgende Schadensersatzleistungen:
- Selbstbeteiligung Vollkaskoversicherung: 300,00 €
- Sachverständigenkosten: 869,00 €
- Wertminderung: 1.000,00 €
- Nutzungsausfall (10 Tage): 500,00 €
- Kostenpauschale: 20,00 €
- Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten: 808,13 €
- Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich des Rückstufungsschadens in der Vollkaskoversicherung
Rechtliche Bewertung und praktische Bedeutung
Das Urteil verdeutlicht die hohen Anforderungen an Linksabbieger, insbesondere bei Abbiegevorgängen in Grundstückseinfahrten:
- Doppelte Rückschaupflicht: § 9 Abs. 1 StVO verlangt eine Rückschau vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen
- Besondere Sorgfaltspflicht: Nach § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein in ein Grundstück abbiegender Fahrzeugführer so verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist
- Deutliche Ankündigung erforderlich: Abbiegeabsichten müssen rechtzeitig und unmissverständlich durch Blinken und entsprechendes Einordnen angezeigt werden
Fazit für die Verkehrspraxis
Dieses Urteil ist von erheblicher Bedeutung für die Bewertung von Abbiegeunfällen. Verkehrsteilnehmer sollten folgende Punkte beachten:
- Für Linksabbieger: Besondere Vorsicht und frühzeitige, deutliche Ankündigung durch linken und Einordnen sind unverzichtbar.
- Für Überholende: Trotz des Urteils ist beim Überholen stets Vorsicht geboten, da eine Mitschuld bei erkennbaren Anzeichen eines Abbiegemanövers droht.
- Für Unfallgeschädigte: Der Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger kann die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtern.
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