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Mitverschulden bei Verkehrsunfall: OLG Köln zur Haftung beim Versuch, ein rollendes Fahrzeug aufzuhalten

Ein auf einem Privatgrundstück ungesichert abgestelltes Fahrzeug setzt sich in Bewegung der Versuch, es mit bloßen Händen aufzuhalten, führt zu schweren Verletzungen. Das OLG Köln entschied über die Haftungsverteilung in diesem ungewöhnlichen Fall.

Der Fall

Im Urteil vom 05.07.2019 (Az. 6 U 234/18) befasste sich das OLG Köln mit einem tragischen Unfall, der sich auf einem privaten Grundstück ereignet hatte. Der Fall zeigt exemplarisch, wie die Haftung bei Unfällen mit rollenden Fahrzeugen bewertet wird und welche Bedeutung dem Mitverschulden des Geschädigten zukommt. Der Kläger, ein junger Mann, hatte versucht, den PKW seiner Lebensgefährtin aufzuhalten, nachdem dieser sich auf einer abschüssigen Einfahrt selbständig in Bewegung gesetzt hatte. Dabei hatte er lediglich offene Sandalen getragen. Bei dem Versuch, den rollenden Wagen durch Drücken gegen das Heck zu stoppen, geriet er ins Straucheln, wurde vom Fahrzeug niedergedrückt und schließlich überrollt. Er erlitt schwerste Verletzungen, darunter einen Herzstillstand, eine Oberschenkelfraktur, eine Rippenserienfraktur mit Pneumothorax sowie Verbrennungen und Ablederungen.

Strittige Rechtsfragen: Betriebsgefahr und Mitverschulden

Vor Gericht galt es zu klären:

  1. War das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt „in Betrieb“ im Sinne des § 7 StVG?
  2. Greift die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters auch auf Privatgrundstücken?
  3. Welche Bedeutung hat das eigene Verhalten des Geschädigten für die Haftungsverteilung?

Die Entscheidung:

Das OLG Köln bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, dass die Kfz-Haftpflichtversicherung zu 30% für die Schäden des Klägers aufkommen muss. Dabei kamen die Richter zu folgenden rechtlichen Bewertungen:

Kein Anspruch aus der Gefährdungshaftung (§ 7 StVG)

Interessanterweise verneinte das OLG einen Anspruch aus der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG. Dies begründete das Gericht mit dem Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG. Dieser greift, wenn der Verletzte „bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war“. Das Gericht sah diese Voraussetzung als erfüllt an, da der Kläger sich den Triebkräften des Fahrzeugs bewusst ausgesetzt hatte, indem er versuchte, das rollende Fahrzeug aufzuhalten.

Haftung nach den allgemeinen Deliktsregeln (§ 823 BGB)

Das OLG bewertete das Mitverschulden des Klägers mit 70%. Für diese Bewertung waren folgende Faktoren maßgeblich:

  • Der Kläger entschied sich bewusst, sich einem unkontrolliert rollenden Fahrzeug entgegenzustellen
  • Es bestand keine Notwendigkeit für dieses Handeln, da lediglich geringer Sachschaden drohte
  • Der Versuch, das Fahrzeug aufzuhalten, war angesichts der Masse des PKW und des zunehmenden Gefälles erkennbar aussichtslos
  • Der Kläger trug zum Unfallzeitpunkt lediglich offene Sandalen

Rechtliche Einordnung und Praxisrelevanz

Das Urteil verdeutlicht wichtige Grundsätze der Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen:

  1. Selbstgefährdung und Haftungsausschluss: Wer sich bewusst und ohne zwingenden Grund erheblichen Gefahren aussetzt, muss mit einer deutlichen Minderung seiner Schadenersatzansprüche rechnen.
  2. Grenzen der Betriebsgefahr: Die Haftung aus Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs kann ausgeschlossen sein, wenn der Geschädigte selbst „bei dem Betrieb“ tätig wird, wie beim Versuch, ein rollendes Fahrzeug aufzuhalten.
  3. Deliktsrechtliche Haftung: Auch wenn die Gefährdungshaftung nach StVG ausscheidet, kann eine Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht bestehen, wenn ein Verschulden (hier: unsachgemäßes Abstellen des PKW) vorliegt.
  4. Privatgrundstücke: Die Haftung der Kfz-Versicherung greift auch bei Unfällen auf Privatgelände, sofern die Voraussetzungen der §§ 823 BGB, 115 VVG erfüllt sind.

Fazit: Sorgfalt bei Verkehrssicherungspflicht und Eigenverantwortung

Das Urteil des OLG Köln mahnt zur Sorgfalt in zweifacher Hinsicht: Zum einen müssen Fahrzeugführer stets sicherstellen, dass ihre Fahrzeuge gegen Wegrollen gesichert sind – auch auf Privatgrundstücken. Zum anderen ist bei drohenden Gefahrensituationen stets eine sorgfältige Abwägung erforderlich, ob ein eigenes Eingreifen angemessen und verhältnismäßig ist oder ob dieses die Gefahr nur erhöht. Die Entscheidung zeigt, dass die Rechtsprechung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gefährdungshaftung und Eigenverantwortung anstrebt. Sie berücksichtigt sowohl die Verantwortung des Fahrzeugführers für die Sicherheit seines Fahrzeugs als auch die Pflicht jedes Einzelnen, sich nicht unnötigen Gefahren auszusetzen.


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Schlagworte: Verkehrsunfall, Mitverschulden, Betriebsgefahr, Gefährdungshaftung, Schadensersatz,
Kfz-Haftpflichtversicherung, § 7 StVG, § 823 BGB, § 254 BGB, § 115 VVG

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