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Geschäftsführer als Arbeitnehmer: Wann ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet?

Hessisches LAG stärkt Arbeitnehmerrechte von Geschäftsführern – Was Unternehmen und Führungskräfte wissen müssen

Das Wichtigste in Kürze

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat mit seinem Beschluss vom 1. Februar 2022 (Az. 19 Ta 507/21) wichtige Klarstellungen zur Abgrenzung zwischen Arbeitsvertrag und freiem Dienstvertrag getroffen. Die Entscheidung zeigt auf, wann auch Geschäftsführer als Arbeitnehmer gelten und welche Konsequenzen dies für Unternehmen hat.

Die Ausgangslage: Managing Director mit Arbeitsvertrag

Der Fall betraf einen Managing Director, der seit August 2020 für eine GmbH tätig war. Grundlage bildete ein als „Employment Contract“ bezeichneter Vertrag in englischer Sprache, der typische Arbeitsvertragsregelungen enthielt:

  • Vollzeitbeschäftigung mit Festgehalt
  • Geregelte Arbeitszeiten (40 Stunden/Woche)
  • Urlaubsansprüche und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
  • Weisungsrecht des Arbeitgebers bezüglich Arbeitsort und -zeit
  • Bezeichnung als „employee“ (Arbeitnehmer) und „employer“ (Arbeitgeber)

Obwohl der Managing Director gleichzeitig als Geschäftsführer ins Handelsregister eingetragen war, entbrannte nach seiner Abberufung Streit über die rechtliche Qualifikation des Vertragsverhältnisses.

Der konkrete Fall

Im vorliegenden Fall wollte eine Mandantin gegen ihre testamentarische Alleinerbin vorgehen und beantragte Prozesskostenhilfe für:

  • Auskunfts- und Rückgewähransprüche bezüglich einer Schenkung
  • Zahlung von 7.286,71 EUR
  • Monatliche Zahlungen von 320,74 EUR für Heimunterbringungskosten

Die zentrale Rechtsfrage: Arbeitsvertrag trotz Geschäftsführertätigkeit?

Das Arbeitsgericht Frankfurt hatte zunächst den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten als nicht eröffnet angesehen und den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen. Die Begründung: Ein Geschäftsführer könne grundsätzlich kein Arbeitnehmer sein.

Das Hessische LAG korrigierte diese Auffassung und entwickelte wichtige Rechtsgrundsätze:

Rechtliche Besonderheiten

1. Maßgeblichkeit der Vertragsgestaltung bei eindeutiger Bezeichnung

Kernaussage: Haben die Parteien ausdrücklich einen Arbeitsvertrag geschlossen und arbeitsvertragstypische Regelungen getroffen, ist dies grundsätzlich maßgeblich für die rechtliche Einordnung. Das Gericht stellte klar: Anders als bei Verträgen, die nicht als Arbeitsvertrag bezeichnet sind, kommt es bei eindeutig bezeichneten Arbeitsverträgen nicht primär auf die tatsächliche Durchführung an.

1. Maßgeblichkeit der Vertragsgestaltung bei eindeutiger Bezeichnung

Kernaussage: Haben die Parteien ausdrücklich einen Arbeitsvertrag geschlossen und arbeitsvertragstypische Regelungen getroffen, ist dies grundsätzlich maßgeblich für die rechtliche Einordnung. Das Gericht stellte klar: Anders als bei Verträgen, die nicht als Arbeitsvertrag bezeichnet sind, kommt es bei eindeutig bezeichneten Arbeitsverträgen nicht primär auf die tatsächliche Durchführung an.

2. Geschäftsführer können Arbeitnehmer sein

Ein entscheidender Punkt: Auch Geschäftsführer können Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes sein. Die Handlungsfreiheit nach außen (gegenüber Dritten) ist von der Weisungsgebundenheit im Innenverhältnis zu unterscheiden.

3. Keine Änderung durch § 611a BGB

Die Kodifizierung des Arbeitsvertrags in § 611a BGB hat an diesen Grundsätzen nichts geändert. § 611a Abs. 1 S. 6 BGB regelt nur den Fall, dass ein nicht als Arbeitsvertrag bezeichneter Vertrag tatsächlich wie ein Arbeitsverhältnis durchgeführt wird – nicht den umgekehrten Fall.

Praktische Konsequenzen für Unternehmen

Für Arbeitgeber

Vorsicht bei Vertragsgestaltung: Wer einen Managing Director oder Geschäftsführer einstellen möchte, sollte die Vertragsgestaltung sorgfältig prüfen. Ein als „Arbeitsvertrag“ bezeichneter Vertrag mit arbeitsvertragstypischen Regelungen wird grundsätzlich als Arbeitsverhältnis behandelt.

Änderungsmöglichkeiten: Will man ein bestehendes Arbeitsverhältnis in ein freies Dienstverhältnis umwandeln, muss dies ausdrücklich und unter Beachtung der Schriftform (§ 623 BGB) vereinbart werden.

Kündigungsschutz beachten: Geschäftsführer-Arbeitnehmer genießen den vollen arbeitsrechtlichen Schutz, einschließlich Kündigungsschutz nach dem KSchG.

Für Geschäftsführer:

Rechtssicherheit: Die Entscheidung schafft Klarheit für Führungskräfte, die sowohl organschaftliche Funktionen ausüben als auch in einem Arbeitsverhältnis stehen.

Ansprüche durchsetzbar: Bei Streitigkeiten ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet, was oft vorteilhafter ist als der Gang vor die ordentlichen Gerichte.

Abgrenzung zu anderen Gestaltungen

Wann liegt kein Arbeitsverhältnis vor?

Ein Arbeitsverhältnis ist abzulehnen, wenn:

  • Der Vertrag eindeutig als freier Dienstvertrag oder Geschäftsführervertrag bezeichnet ist
  • Keine arbeitsvertragstypischen Regelungen (Arbeitszeit, Urlaub, Weisungsrecht) enthalten sind
  • Der Geschäftsführer tatsächlich weitgehend selbständig und weisungsfrei tätig wird

Besonderheiten bei GmbH-Geschäftsführern

Bei GmbH-Geschäftsführern ist nach § 37 Abs. 2 GmbHG ausdrücklich geregelt, dass die organschaftliche Vertretungsmacht von arbeitsvertraglichen Weisungsrechten im Innenverhältnis unberührt bleibt.st abzulehnen, wenn:

Handlungsempfehlungen

Für die Praxis

  1. Klare Vertragsgestaltung: Entscheiden Sie bewusst, ob ein Arbeits- oder Dienstvertrag gewollt ist
  2. Konsistente Regelungen: Vermeiden Sie widersprüchliche Klauseln zwischen organschaftlicher Stellung und Arbeitsvertrag
  3. Regelmäßige Überprüfung: Prüfen Sie bestehende Geschäftsführerverträge auf arbeitsrechtliche Implikationen
  4. Rechtliche Beratung: Lassen Sie sich bei der Vertragsgestaltung anwaltlich beraten

Für Mandanten:

  • Bei schwerer Krankheit oder hohem Alter PKH-Anträge prioritär behandeln lassen
  • Rechtsnachfolger frühzeitig über laufende Verfahren informieren

Fazit

Das Urteil des Hessischen LAG stärkt die Position von Geschäftsführern, die gleichzeitig Arbeitnehmer sind. Unternehmen müssen bei der Vertragsgestaltung noch sorgfältiger vorgehen und können sich nicht darauf verlassen, dass die organschaftliche Stellung automatisch ein Arbeitsverhältnis ausschließt. Die Entscheidung zeigt: Arbeitsrecht ist Schutzrecht – und dieses lässt sich nicht durch geschickte Vertragsgestaltung umgehen, wenn die Parteien tatsächlich ein Arbeitsverhältnis begründen wollen.


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WKR Rechtsanwaltsgesellschaft mbH