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Nebenkostenabrechnung: Mieter dürfen Zahlung verweigern ohne vollständige Belegeinsicht

Amtsgericht Münster – Urteil vom 11. Oktober 2022 (Az. 38 C 1947/22)

Das Wichtigste in Kürze

Das Amtsgericht Münster hat in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass Mieter die Zahlung von Nebenkosten solange verweigern dürfen, bis der Vermieter ihnen vollständige und geordnete Einsicht in alle Belege gewährt. Das Urteil stärkt die Rechte von Mietern erheblich und definiert klare Standards für die Belegeinsicht.

Worum ging es in dem Fall?

Die Klägerin (Vermieterin) forderte von ihren Mietern die Zahlung von Nebenkosten für die Jahre 2018, 2019 und 2020 in Höhe von insgesamt 311,21 Euro. Die Mieter hatten mehrfach über den Deutschen Mieterbund Einsicht in die Belege gefordert, insbesondere für Positionen wie:

  • Winterdienst
  • Gartenpflege
  • Hauswart
  • Müllabfuhr
  • Sperrmüll
  • Dichtigkeitsprüfung

Die Vermieterin stellte zwar einige Unterlagen zur Verfügung, jedoch fehlten wichtige Zahlungsbelege und die vorhandenen Dokumente waren nicht ordnungsgemäß sortiert.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Amtsgericht Münster wies die Klage vollständig ab. Die Richter stellten fest, dass den Mietern ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 242 BGB (Treu und Glauben) zusteht, solange der Vermieter keine vollständige Belegeinsicht gewährt.

Zentrale Rechtsgrundsätze aus dem Urteil:

1. Umfassende Belegvorlage erforderlich

  • Der Vermieter muss alle Belege vorlegen, die der Nebenkostenabrechnung zugrunde liegen.
  • Dazu gehören sowohl Rechnungen als auch Zahlungsbelege.
  • Ein SAP-Auszug allein reicht nicht aus – es müssen echte Zahlungsnachweise vorgelegt werden.

2. Geordnete Zusammenstellung notwendig

  • Die Belege müssen in einer übersichtlichen und geordneten Form präsentiert werden.
  • Eine chronologische und thematische Sortierung ist erforderlich.
  • Die Darstellung muss für einen „juristisch und betriebswirtschaftlich nicht geschulten Mieter“ verständlich sein.

3. Bemühungspflicht des Vermieters

  • Der Vermieter muss sich aktiv um die Beschaffung aller Belege bemühen.
  • Das umfasst auch Dokumente von Dritten (z.B. Dienstleistern).
  • Nur bei besonderen Umständen kann die Zumutbarkeit entfallen.

Praktische Konsequenzen für Mieter

Was Mieter tun können

Sofortige Belegeinsicht verlangen:

  • Mieter können unmittelbar nach Erhalt einer Nebenkostenabrechnung Belegeinsicht fordern.
  • Ein besonderer Grund ist nicht erforderlich – es genügt der Wunsch zur Überprüfung.
  • Die Forderung sollte schriftlich erfolgen (gerne über den Mieterbund).

Zahlung verweigern bei unvollständiger Einsicht:

  • Solange die Belegeinsicht nicht vollständig gewährt wird, können Mieter die Zahlung verweigern.
  • Es entsteht kein Verzug und keine Zinspflicht.
  • Auch Rechtsanwaltskosten müssen nicht erstattet werden.

Prüfung der Belegqualität:

  • Mieter können ungeordnete oder unvollständige Unterlagen zurückweisen.
  • Bei fehlendem Zahlungsnachweis ist Skepsis berechtigt.
  • Firmeninterne Software-Ausdrucke reichen nicht aus.

Bedeutung für Vermieter

Was Vermieter beachten müssen

Vollständige Dokumentation:

  • Alle Zahlungsbelege müssen aufbewahrt und vorgelegt werden.
  • Bei Dienstleisterverträgen müssen auch deren Rechnungen verfügbar sein.
  • Eine systematische Ablage ist unerlässlich.

Professionelle Aufbereitung:

  • Belege müssen geordnet und übersichtlich zusammengestellt werden.
  • Eine klare Zuordnung zu den Abrechnungsposten ist erforderlich.
  • Die Darstellung muss laienverständlich sein.

Proaktive Belegvorhaltung:

  • Vermieter sollten bereits bei Erstellung der Abrechnung alle Belege sammeln.
  • Ein schneller Zugriff auf alle Dokumente ist wichtig.
  • Nachträglich fehlende Belege sind schwer zu beschaffen.

Rechtlicher Hintergrund

Das Urteil basiert auf § 259 Abs. 1 BGB (Rechenschaftspflicht) in Verbindung mit § 556 Abs. 3 BGB (Nebenkostenabrechnung). Die Richter bezogen sich auch auf aktuelle BGH-Rechtsprechung und stellten klar, dass:

  • die Belegeinsicht ein subjektives Recht des Mieters ist
  • formale Mängel bei der Belegvorlage zur Nichterfüllung führen
  • der Vermieter eine aktive Bemühungspflicht hat

Tipps für die Praxis

Für Mieter

  1. Sofort reagieren: Belegeinsicht zeitnah nach Erhalt der Abrechnung fordern
  2. Schriftlich dokumentieren: Alle Anfragen und Antworten schriftlich festhalten
  3. Prüfung der Vollständigkeit: Zahlungsbelege explizit einfordern
  4. Rechtsbeistand suchen: Bei Problemen anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen

Für Vermieter

  1. Systematische Ablage: Alle Belege von Anfang an ordentlich sammeln
  2. Vollständigkeit prüfen: Vor Abrechnung alle Zahlungsbelege sicherstellen
  3. Professionelle Aufbereitung: Belege übersichtlich und geordnet zusammenstellen
  4. Zeitnah reagieren: Belegeinsicht zügig gewähren

Fazit

Das Urteil des Amtsgerichts Münster stärkt die Position der Mieter erheblich und setzt hohe Standards für die Belegeinsicht. Vermieter müssen ihre Dokumentationspraxis überprüfen und professionalisieren. Mieter erhalten ein wirksames Instrument, um ihre Rechte durchzusetzen.

Die Entscheidung hat Signalwirkung für viele ähnliche Fälle und wird voraussichtlich auch in höheren Instanzen Beachtung finden. Das Gericht ließ die Berufung zu, da die Frage auch für andere Mietverhältnisse von Bedeutung ist.


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