Anhaltende Ruhestörung – Fristlose Kündigung mit verlängerter Räumungsfrist
LG Hamburg – Urteil vom 24 Juli 2023 (Az. 28 C 323/23)
Das Wichtigste in Kürze
Das Amtsgericht Münster entschied in einem wegweisenden Urteil, dass regelmäßige nächtliche Feiern und lautstarke Streitereien auch in hellhörigen Häusern eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Gleichzeitig gewährte das Gericht einer achtköpfigen Familie eine verlängerte Räumungsfrist bis zum 31. März 2024, um die Interessen der sechs Kinder zu berücksichtigen.
Der Sachverhalt: Jahre andauernder Lärm im Mehrfamilienhaus
Die Ausgangslage
- Mietverhältnis: Familie mit 6 Kindern (6 Monate bis 10 Jahre) in 4-Zimmer-Wohnung
- Miete: 900,55 EUR (Grundmiete: 617,55 EUR)
- Objekt: 8-Parteien-Haus mit vier Etagen in Münster
- Mietbeginn: März 2018
Dokumentierte Lärmbelästigungen
Das Gericht stellte folgende Verstöße fest:
- Nächtliche Feiern mit lauter Musik bis in die Morgenstunden (teilweise bis 6:30 Uhr)
- Lautstarke Streitereien zwischen den Ehepartnern
- Möbelrücken mitten in der Nacht (22:40 – 23:55 Uhr)
- Mehrfache Polizeieinsätze ohne nachhaltige Besserung
- Regelmäßige Beschwerden der Nachbarn seit 2018
Abmahnungen ohne Erfolg
Die Vermieterin mahnte die Mieter dreimal erfolglos ab:
- Januar 2022: Erste Abmahnung wegen Geschrei, Musik und Streitgesprächen
- März 2022: Anwaltliche Abmahnung mit Kündigungsandrohung
- Juni 2022: Dritte Abmahnung wegen anhaltender Ruhestörungen
Die rechtliche Bewertung des Gerichts
Fristlose Kündigung berechtigt
Das Amtsgericht Münster bestätigte die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1, 3 S. 1 BGB i.V.m. § 569 Abs. 2 BGB:
„Regelmäßige nächtliche Feiern, zumal unter der Woche, und lautstarke Streitereien, stellen auch in einem nicht so hellhörigen Haus keine vertragsmäßige Nutzung mehr dar.“
Entscheidende Faktoren:
- Nachhaltige Störung des Hausfriedens durch wiederholte Lärmbelästigungen
- Schwerwiegende Verletzung der Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB)
- Schuldhaftes Verhalten trotz mehrfacher Abmahnungen
- Unzumutbarkeit für andere Mieter und Vermieter
Beweisaufnahme überzeugt Gericht
Die Zeugenaussagen der Nachbarn wurden als glaubhaft eingestuft:
- Übereinstimmende Schilderungen der Lärmbelästigungen
- Keine erkennbare „Verschwörung“ gegen die Familie
- Nachvollziehbare Erinnerungslücken bei der Vielzahl der Störungen
Interessensabwägung: Verlängerte Räumungsfrist für Familienschutz
Gründe für die verlängerte Frist bis 31. März 2024:
Auf Vermieterseite:
- Gewichtiges Interesse an Beendigung der Ruhestörungen
- Keine Aussicht auf Besserung des Mieterverhaltens
- Beeinträchtigung anderer Mieter
Auf Mieterseite:
- Sechs Kinder im Alter von 6 Monaten bis 10 Jahren betroffen
- Drohende Obdachlosigkeit für achtköpfige Familie
- Schwierige Wohnungssuche für Großfamilien
- Kinder tragen keine Schuld an der Situation
- Störungen gehen überwiegend vom Vater aus
Kostentragung und Schadensersatz
Rechtsanwaltskosten als Kündigungsfolgeschaden
Das Gericht sprach der Vermieterin 800,39 EUR plus Zinsen als Ersatz für vorgerichtliche Anwaltskosten zu (§§ 280 Abs. 1, 286 BGB). Die Beauftragung eines Rechtsanwalts für die Kündigung war erforderlich und zweckmäßig.
Vollstreckung und Sicherheitsleistung
- Urteil ist vorläufig vollstreckbar
- Sicherheitsleistung von 10.000 EUR möglich
- Bei Geldforderung: 110% des Urteilsbetrags
Praktische Tipps für Vermieter und Mieter
Für Vermieter
- ✅ Dokumentation ist entscheidend: Alle Lärmbelästigungen genau protokollieren
- ✅ Abmahnungen aussprechen: Mindestens zwei Abmahnungen vor fristloser Kündigung
- ✅ Zeugen einbeziehen: Nachbarn als Zeugen für Gerichtsverfahren gewinnen
- ✅ Rechtliche Beratung: Frühzeitig anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen
Für Mieter
- ⚠️ Rücksichtnahme beachten: Ruhezeiten ab 22:00 Uhr strikt einhalten
- ⚠️ Auf Abmahnungen reagieren: Verhalten umgehend ändern
- ⚠️ Bei Familien besonders wichtig: Kinder zur Ruhe anhalten
- ⚠️ Frühzeitig Wohnung suchen: Bei wiederholten Beschwerden aktiv werden
Bedeutung für die Rechtsprechung
Leitsatz des Urteils
Das Urteil bestätigt, dass auch in hellhörigen Gebäuden regelmäßige nächtliche Ruhestörungen eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Die Bauqualität entschuldigt nicht schuldhaftes Verhalten.
Familienfreundliche Rechtsprechung
Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass Gerichte bei der Räumungsfrist-Gewährung besonders die Interessen von Kindern berücksichtigen und längere Fristen gewähren können.
Fazit: Ausgewogene Entscheidung mit klaren Grenzen
Das Urteil des Amtsgerichts Münster zeigt beispielhaft, wie Gerichte zwischen den berechtigten Interessen der Vermieter und dem Schutz von Familien abwägen. Während dauerhafter Lärm auch in hellhörigen Häusern nicht hingenommen werden muss, erhalten Familien mit Kindern ausreichend Zeit, eine neue Wohnung zu finden.
Entscheidend bleibt: Mieter müssen die Rücksichtnahmepflicht ernst nehmen und auf berechtigte Beschwerden reagieren. Vermieter sollten den Rechtsweg erst nach erfolgloser Abmahnung beschreiten und dabei die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen.
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