OLG Saarbrücken: Wichtige Entscheidung zur Begründungspflicht im Bußgeld-Beschlussverfahren
OLG Saarbrücken – Beschluss vom 9. 01. 2025 (Az. 1 Ss (OWi) 113/24)
Das Wichtigste in Kürze
Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat wichtige Grundsätze zur Begründungspflicht im Bußgeld-Beschlussverfahren klargestellt. Die Entscheidung zeigt auf, wann auch bei einem einvernehmlichen Beschlussverfahren nachträglich vollständige Gründe erforderlich werden.
Der Sachverhalt: Von der Geschwindigkeitsüberschreitung zur Rechtsbeschwerde
Der Fall begann mit einem klassischen Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der Geschwindigkeit:
- Ursprünglicher Vorwurf: Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit von 80 km/h um 44 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften
- Sanktionen: 800 Euro Geldbuße und 1 Monat Fahrverbot
- Einspruch: Der Betroffene legte durch seinen Verteidiger Einspruch ein
Besonders interessant: Der Betroffene erklärte sich mit einem Beschlussverfahren einverstanden, wenn die Geldbuße 960 Euro nicht überschreitet, und verzichtete auf eine Beschlussbegründung. Das Amtsgericht folgte diesem Wunsch und verhängte genau 960 Euro – ohne Begründung.
Die entscheidende Wendung: Rechtsbeschwerde trotz Einverständnis
Obwohl der Betroffene dem Beschlussverfahren zugestimmt hatte, legte er gegen die Entscheidung Rechtsbeschwerde ein. Dies führte zu der zentralen Rechtsfrage: Müssen bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen einvernehmlichen Beschluss nachträglich vollständige Gründe geliefert werden?
Die Rechtslage: § 72 Abs. 6 OWiG im Detail
Das OLG Saarbrücken stellt klar:
Grundsatz bei einvernehmlichen Beschlüssen
Bei Zustimmung aller Beteiligten genügt normalerweise der Hinweis auf den Bußgeldbescheid als Begründung (§ 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG).
Ausnahme bei Rechtsbeschwerde
Wird jedoch Rechtsbeschwerde eingelegt, müssen nach § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG die vollständigen Gründe innerhalb von fünf Wochen ab Einlegung der Rechtsbeschwerde zu den Akten gebracht werden.
Praktische Auswirkungen für Mandanten und Anwälte
Für Betroffene im Bußgeldverfahren
- Ein Verzicht auf Begründung bedeutet nicht den Verzicht auf spätere Rechtsmittel.
- Die Begründungsfrist für eine Rechtsbeschwerde beginnt erst mit Zustellung der vollständigen Gründe.
- Auch bei einvernehmlichen Beschlüssen bleibt die Rechtsbeschwerde möglich.
Für Amtsgerichte
- Bei Rechtsbeschwerde gegen unbegründete Beschlüsse müssen nachträglich vollständige Gründe erstellt werden.
- Die Begründung muss den Anforderungen an ein Urteil entsprechen.
- Wird dies versäumt, führt dies zur Aufhebung der Entscheidung.
Die Begründungsanforderungen im Detail
Das OLG Saarbrücken betont, dass die nachträgliche Begründung folgende Elemente enthalten muss:
- Darstellung der der Verurteilung zugrundeliegenden Tatsachen
- Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen
- Berücksichtigung von Umständen, die der Ahndung entgegenstehen können
- Ermöglichung einer rechtlichen Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht
Fazit: Mehr Rechtssicherheit im Bußgeldverfahren
Diese Entscheidung stärkt die Rechte von Betroffenen im Bußgeldverfahren erheblich. Sie zeigt, dass ein Verzicht auf Begründung nicht bedeutet, auf effektiven Rechtsschutz zu verzichten. Gleichzeitig verpflichtet sie die Gerichte zu sorgfältiger Arbeit, auch wenn zunächst ein einvernehmliches Verfahren gewählt wurde.
Praxistipp für Verkehrsrechtsanwälte
Dieses Urteil bietet eine wichtige Argumentationshilfe bei Rechtsbeschwerdeverfahren gegen unbegründete Beschlüsse. Es lohnt sich, in solchen Fällen explizit auf § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG und die Rechtsprechung des OLG Saarbrücken hinzuweisen.
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