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Wichtiges Urteil: Vollständiger Schadenersatz auch bei Verbringungskosten und Gutachtergebühren

AG Merseburg – Urteil vom 20.06.2023 – Az. 1 S 176/18

Das Wichtigste in Kürze

Das Amtsgericht Merseburg hat in einem wegweisenden Urteil vom 20.06.2023 entschieden, dass Geschädigte bei Verkehrsunfällen auch dann vollständigen Schadenersatz verlangen können, wenn die Versicherung Abzüge bei Verbringungskosten und Sachverständigengebühren vornimmt. Das Gericht verurteilte die beklagte Haftpflichtversicherung zur Zahlung von 227,05 € zuzüglich Zinsen.

Der Sachverhalt

Der Sachverhalt Bei einem Verkehrsunfall am 12.04.2022 in Bad Dürrenberg wurde ein VW Scirocco beschädigt. Die gegnerische Haftpflichtversicherung regulierte zwar den Großteil des Schadens, kürzte jedoch bei:

  • Verbringungskosten um 69,02 €
  • Sachverständigenkosten um 158,03 €

Der Geschädigte klagte auf Zahlung der gekürzten Beträge – mit Erfolg.

Die Entscheidung des Gerichts

Verbringungskosten müssen vollständig erstattet werden

Das Amtsgericht Merseburg bestätigte die aktuelle BGH-Rechtsprechung (BGH v. 26.04.2022 – VI ZR
147/21) zum Werkstattrisiko:

Der Schädiger muss dem Geschädigten die angefallenen Reparaturkosten unabhängig davon erstatten, ob sie objektiv erforderlich waren – solange die Reparatur tatsächlich durchgeführt wurde und den Geschädigten kein Verschulden bei der Werkstattauswahl trifft.

Wichtig für Geschädigte: Sie müssen keine Fremdlackierrechnung zur Spezifizierung der Verbringungskosten vorlegen.

Sachverständigenkosten: Freie Gutachterwahl bleibt bestehen

Bei den Gutachterkosten stellte das Gericht klar:

  • Freie Sachverständigenwahl: Geschädigte dürfen grundsätzlich einen für sie erreichbaren Sachverständigen beauftragen.
  • Keine Vorab-Erkundigung nötig: Eine vorherige Erkundigung nach günstigeren Sachverständigen ist nicht erforderlich.
  • Plausibilitätskontrolle genügt: Nur bei deutlich überhöhten, für Laien erkennbar überteuerten Preisen kann gekürzt werden.

Anforderungen an Honorarvereinbarungen

Das Gericht akzeptierte eine Honorarvereinbarung, bei der:

  • Im Auftragsformular auf Geschäftsbedingungen und Honorartabelle auf der Internetseite verwiesen wurde
  • Zusätzlich ein QR-Code zur Verfügung gestellt wurde
  • Ein separater Ausdruck war nicht erforderlich

Praktische Tipps für Unfallgeschädigte

Das sollten Sie tun

  • Beauftragen Sie einen seriösen Sachverständigen Ihrer Wahl.
  • Prüfen Sie die Honorarvereinbarung auf Plausibilität.
  • Dokumentieren Sie alle Schadenspositionen sorgfältig.
  • Lassen Sie sich von Kürzungen der Versicherung nicht abschrecken.

Das sollten Sie beachten

  • Bei offensichtlich überteuerten Gutachterkosten drohen Kürzungen.
  • Bewahren Sie alle Belege und Vereinbarungen auf.
  • Im Zweifel sollten Sie anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen.

Bedeutung für die Rechtspraxis

Dieses Urteil bestätigt die geschädigtenfreundliche Rechtsprechung des BGH und sendet ein klares Signal an Haftpflichtversicherungen:

  • Pauschale Kürzungen bei Verbringungskosten sind nicht zulässig
  • Substantiierte Einwendungen gegen Gutachterkosten sind erforderlich
  • Die Beweislast für überhöhte Kosten liegt beim Schädiger bzw. seiner Versicherung

Fazit: Ihre Rechte als Unfallgeschädigter

Das Urteil des AG Merseburg stärkt die Position von Unfallgeschädigten erheblich. Versicherungen können nicht mehr ohne weiteres Abzüge bei Verbringungskosten und Sachverständigengebühren vornehmen.

Unser Tipp: Lassen Sie sich nicht von pauschalen Kürzungen der Versicherung einschüchtern. In vielen Fällen lohnt sich die rechtliche Durchsetzung Ihrer Ansprüche.


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Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen wenden Sie sich bitte an einen Fachanwalt.

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