Fristlose Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug: Wann ist sie rechtmäßig?
LAG Hamm – Urteil (Az. 13 Sa 1007/22)
Das Wichtigste in Kürze
LAG Hamm bestätigt: Auch einmaliger Arbeitszeitbetrug kann fristlose Kündigung rechtfertigen
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat entschieden, dass bereits ein einmaliger Fall von Arbeitszeitbetrug ausreichen kann, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Besonders schwer wiegt dabei das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Aufdeckung der Pflichtverletzung.
Der Fall: 10 Minuten Kaffeepause ohne Ausstempeln
Eine 62-jährige Raumpflegerin mit Schwerbehinderung war seit 2013 in einem Betrieb beschäftigt. Am 8. Oktober 2021 verließ sie ihren Arbeitsplatz für mindestens 10 Minuten, um in einem gegenüberliegenden Café Kaffee zu trinken, ohne sich am elektronischen Zeiterfassungssystem auszustempeln.
Der Arbeitgeber beobachtete den Vorfall und konfrontierte die Mitarbeiterin nach ihrer Rückkehr. Zunächst leugnete sie vehement, das Betriebsgelände verlassen zu haben. Erst als der Arbeitgeber mit Fotobeweisen drohte, gestand sie die Pflichtverletzung ein.
Rechtliche Bewertung: Vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug
Das Gericht sah in dem Verhalten der Klägerin einen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug, der eine fristlose Kündigung rechtfertigte. Entscheidend waren dabei folgende Faktoren:
Zentrale Begründung der Richter
1. Planvolles Vorgehen
- Die Mitarbeiterin hatte Kollegen vorab mitgeteilt, in den Keller zu gehen.
- Sie verließ dann aber das Betriebsgelände ohne Dokumentation.
- Nach der Rückkehr unternahm sie keine Korrektur der Arbeitszeit.
2. Schwerwiegendes Nachtatverhalten
- Hartnäckiges Leugnen des Vorfalls
- Versuch der Vertuschung durch unwahre Angaben
- Erst Geständnis unter Beweis-Druck
3. Vertrauensbruch
Das Gericht betonte, dass der Arbeitgeber auf eine korrekte Zeiterfassung vertrauen können muss. Der bewusste Missbrauch des Systems stellt einen schweren Vertrauensbruch dar.
Keine Abmahnung erforderlich
Obwohl die Mitarbeiterin über 8 Jahre beschäftigt war, schwerbehindert und das Arbeitsverhältnis bisher störungsfrei verlief, sah das Gericht keine Abmahnung als erforderlich an. Bei so schweren Pflichtverletzungen mit vorsätzlichem Charakter ist dem Arbeitgeber die Hinnahme des Verhaltens nicht zumutbar.
Besonderheiten bei schwerbehinderten Arbeitnehmern
Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern ist vor einer außerordentlichen Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich (§ 174 SGB IX). Im vorliegenden Fall hatte das Integrationsamt nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist entschieden, weshalb die Zustimmung als erteilt galt.
Praktische Tipps für Arbeitgeber
- Klare Arbeitszeit-Regelungen: Implementieren Sie eindeutige Vorgaben zur Zeiterfassung.
- Schulungen durchführen: Sensibilisieren Sie Mitarbeiter für die Bedeutung korrekter Zeiterfassung.
- Dokumentation: Sammeln Sie bei Verdachtsfällen Beweise.
- Rechtliche Beratung: Holen Sie sich bei geplanten Kündigungen anwaltlichen Rat.
Praktische Tipps für Arbeitnehmer
- Ehrlichkeit zahlt sich aus: Gestehen Sie Fehler frühzeitig ein.
- Korrekte Zeiterfassung: Nehmen Sie die Dokumentationspflichten ernst.
- Bei Fehlern korrigieren: Nutzen Sie vorhandene Korrekturmöglichkeiten.
- Rechtsbeistand: Lassen Sie sich bei Kündigungen anwaltlich beraten.
Fazit: Vertrauen ist die Basis des Arbeitsverhältnisses
Das Urteil zeigt deutlich: Arbeitszeitbetrug ist kein Kavaliersdelikt. Auch scheinbar geringe Verstöße können bei vorsätzlichem Handeln und unehrlichem Nachtatverhalten das Vertrauen so schwer erschüttern, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist.
Für Arbeitnehmer gilt: Ehrlichkeit und Transparenz sind der beste Schutz vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Für Arbeitgeber ist wichtig, dass sie auch bei langjährigen Mitarbeitern konsequent handeln dürfen, wenn das Vertrauen nachhaltig zerstört wurde.
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Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen wenden Sie sich bitte an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht.