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Schlüsselverlust in Wohnungseigentümergemeinschaften: Wer haftet und in welcher Höhe?

OLG Brandenburg – Urteil vom 27. April 2023 (Az. 10 U 100/22)

OLG entscheidet über Schadensersatzansprüche nach Schlüsseldiebstahl – Wichtige Rechtsprechung für WEG-Verwaltung und Wohnungseigentümer

Der Sachverhalt: Kellertür und verhängnisvoller Schlüssel

Eine Mieterin begab sich in den Keller eines Mehrfamilienhauses und ließ dabei fahrlässig den Hauptschlüssel von außen in der Kellertür stecken. Während ihres kurzen Aufenthalts im Waschmaschinenraum nutzte eine unbekannte Person die Gelegenheit, verschloss die Tür und entwendete den Schlüssel.

Der gestohlene Schlüssel passte zu:

  • Haustür
  • Kellergängen
  • Müllhaus
  • Tiefgarage

Nach dem Diebstahl kam es wiederholt zu Einbrüchen in der Tiefgarage – ein klares Indiz für die missbräuchliche Nutzung des entwendeten Schlüssels.

Die Kosten: Fast 7.000 Euro für neue Schließanlage

Die Wohnungseigentümergemeinschaft sah sich gezwungen, Teile der 1996 installierten Schließanlage zu erneuern:

  • 41 DOM Doppelzylinder mit jeweils drei Schlüsseln
  • 7 Halbzylinder mit jeweils drei Schlüsseln
  • 130 Zylinderverlängerungen
  • 80 Einzelmehrschlüsse

Gesamtkosten: 6.669,21 Euro

Der Austausch erfolgte erst 10,5 Monate nach dem Diebstahl – ein Umstand, der später rechtlich relevant wurde.

Die Rechtsprechung: Haftung trotz indirekter Verursachung

Haftungsgrundlage nach § 280 BGB und WEG

Das OLG Brandenburg bestätigte die Haftung des Wohnungseigentümers für das Verschulden seiner Mieterin nach § 278 BGB. Entscheidend war:

  • Pflichtverletzung: Mangelhafte Verwahrung des Gemeinschaftsschlüssels
  • Fahrlässigkeit: Steckenlassen des Schlüssels von außen entspricht nicht der verkehrsüblichen Sorgfalt
  • Zurechnung: Vermieter haftet für das Verschulden seiner Mieter

Missbrauchsgefahr als Schadensvoraussetzung

Für einen ersatzfähigen Schaden muss eine konkrete Missbrauchsgefahr vorliegen. Diese bejahte das Gericht aufgrund:

  • Gezielter Diebstahl (nicht nur Verlust)
  • Zuordenbarkeit des Schlüssels zum Gebäude
  • Tatsächliche Folgeschäden (Diebstähle in der Tiefgarage)

Wichtig: Die lange Wartezeit von 10,5 Monaten bis zum Austausch widerlegte die Missbrauchsgefahr nicht. Das Gericht erkannte an, dass WEG-Entscheidungsprozesse Zeit brauchen.

Abzug „Neu für Alt“: 75% Wertminderung

Der Knackpunkt des Urteils lag in der Berechnung des Vorteilsausgleichs:

  • Alte Schließanlage: 24 Jahre alt, viele Schlüssel über die Jahre verloren gegangen
  • Neue Sicherheit: Durch Austausch erheblich verbesserte Sicherheitsfunktion
  • Abzug: 75% der Kosten (entspricht ca. 3% jährlicher Wertminderung)

Ergebnis: Statt 6.627,71 Euro nur 1.625,30 Euro Schadensersatz

Praktische Konsequenzen für WEG-Verwaltung

1. Präventionsmaßnahmen

  • Klare Hausordnung bezüglich Schlüsselnutzung
  • Schulung der Eigentümer und Mieter über sorgfältigen Umgang
  • Regelmäßige Kontrolle des Schlüsselbestands

2. Im Schadensfall

  • Sofortige Dokumentation des Schlüsselverlusts
  • Bewertung der Missbrauchsgefahr (gezielter Diebstahl vs. Verlust)
  • Zeitnahe Entscheidung über Sicherungsmaßnahmen
  • Vollständige Dokumentation aller ausgegebenen Schlüssel

3. Versicherungsaspekte

  • Haftpflichtversicherung prüfen (im Fall zahlte diese nur 42 Euro)
  • Gebäudeversicherung auf Einschluss von Schließanlagen prüfen
  • Eigentümerversammlung frühzeitig über Kosten und Haftungsverteilung informieren

Besonderheiten bei der Beweislast

Das Gericht stellte hohe Anforderungen an die Darlegungslast bezüglich fehlender Schlüssel:

  • Konkrete Angaben zu Anzahl und Verbleib aller Schlüssel erforderlich
  • Pauschale Behauptungen („alle Schlüssel sind da“) reichen nicht
  • Sekundäre Darlegungslast der WEG bei besserer Kenntnis der Verhältnisse

Fazit für die Praxis

Das Urteil des OLG Brandenburg zeigt:

  1. Haftungsrisiken bestehen auch bei indirekter Verursachung durch Mieter
  2. Hohe Schadensersatzforderungen sind bei Schlüsselverlusten möglich
  3. Abzug „Neu für Alt“ kann die Forderungen erheblich reduzieren
  4. Sorgfältige Dokumentation ist essentiell für erfolgreiche Anspruchsdurchsetzung
  5. Präventive Maßnahmen sind kostengünstiger als spätere Schadensregulierung

Unser Rat: WEG-Verwaltungen sollten ihre Hausordnung überprüfen und klare Regelungen zum Umgang mit Gemeinschaftsschlüsseln implementieren. Bei Schlüsselverlusten ist eine schnelle rechtliche Beratung empfehlenswert, um Ansprüche optimal durchzusetzen


Sie haben Fragen zu Wohnungseigentumsrecht oder benötigen Beratung bei Schadensersatzansprüchen in der WEG? Unsere Experten in Leipzig helfen Ihnen gerne weiter

WKR Rechtsanwaltsgesellschaft mbH