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Unzureichende Berufungsbegründung führt zur Verwerfung Sozialkassenbeiträge in der Bauwirtschaft

BAG – Urteil vom 19. März 2025 (Az. 10 AZR 76/24)

Das Wichtigste in Kürze

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat wichtige Grundsätze zur ordnungsgemäßen Berufungsbegründung bekräftigt und gleichzeitig zur Beitragspflicht bei Sozialkassen der Bauwirtschaft entschieden.

Der Fall im Überblick

In dem Verfahren ging es um Sozialkassenbeiträge in Höhe von über 400.000 Euro für den Zeitraum von Dezember 2009 bis Dezember 2013. Eine Kanalreinigungs- und Rohrsanierungsfirma sollte Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft entrichten, wehrte sich aber gegen diese Verpflichtung.

Das Unternehmen war im Handelsregister mit dem Geschäftszweck „Alle Dienstleistungen rund um das Segment Kanalreinigung und -reparatur, Dichtigkeitsprüfung und TV-Untersuchungen im Abwasserkanal“ eingetragen und führte entsprechende Arbeiten für öffentliche und private Auftraggeber durch

Kernentscheidung: Unzureichende Berufungsbegründung

Das BAG verwarf die Berufung der beklagten Firma als unzulässig, da die Berufungsbegründung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügte.

Rechtliche Anforderungen an die Berufungsbegründung

Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss eine Berufungsbegründung:

  • die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt
  • die Erheblichkeit für das Entscheidungsergebnis darlegen
  • eine hinreichende Darstellung der behaupteten Rechtsfehler enthalten
  • auf den Streitfall zugeschnitten sein
  • im Einzelnen erkennen lassen, welche Punkte fehlerhaft sein sollen

Der entscheidende Fehler

Das Arbeitsgericht hatte seine Entscheidung auf zwei unabhängige, tragende Erwägungen gestützt:

  1. Rohrleitungsbauarbeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 25 VTV: Die durchgeführten Rohr und Kanalreinigungsarbeiten fallen unter diese Kategorie.
  2. Bauliche Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV: Auch Prüf- und Reinigungstätigkeiten sind bauliche Tätigkeiten, wenn der Betrieb bei Sanierungsbedarf auch entsprechende Arbeiten durchführt.

Die Berufungsbegründung griff jedoch nur die erste Erwägung an, setzte sich aber nicht ausreichend mit dem zweiten tragenden Argument auseinander.

Wichtige Rechtsgrundsätze für die Praxis

1. Vollständige Auseinandersetzung erforderlich

„Stützt das Arbeitsgericht seine Entscheidung auf mehrere unabhängige, jeweils selbständig tragende Erwägungen, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen, andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig.“

2. Konkrete Argumentation statt Wiederholung

Es reicht nicht aus, die erstinstanzliche Argumentation zu wiederholen oder mit „formelhaften
Wendungen“ zu rügen. Eine substanzielle Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen ist
erforderlich.

3. Betrieblicher Gesamtzweck entscheidend

Bei der Frage der Beitragspflicht zu Sozialkassen der Bauwirtschaft kommt es auf den betrieblichen Gesamtzweck an. Auch wenn nicht alle Tätigkeiten baulicher Natur sind, kann die Beitragspflicht bestehen, wenn der Betrieb insgesamt baugewerblich tätig ist.

Praktische Konsequenzen für Unternehmen

Für Berufungsverfahren

  • Sorgfältige Analyse aller tragenden Urteilsgründe
  • Detaillierte Auseinandersetzung mit jedem Argument des Gerichts
  • Vermeidung pauschaler Behauptungen ohne konkrete rechtliche Begründung
  • Rechtzeitige anwaltliche Beratung zur Prüfung der Erfolgsaussichten

Für die Bauwirtschaft

  • Unternehmen mit gemischten Tätigkeiten (Reinigung, Prüfung, Sanierung) sollten ihre Beitragspflicht prüfen lassen.
  • Der Gesamtzweck des Betriebs ist entscheidend, nicht einzelne Tätigkeiten.
  • Ausbildungsrahmenpläne können als Indiz für die Einordnung herangezogen werden.

Besonderheiten des Insolvenzverfahrens

Das Verfahren war durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beklagten Firma kompliziert worden. Das BAG bestätigte die ordnungsgemäße Wiederaufnahme des Rechtsstreits nach §§ 85, 86, 180 Abs. 2 InsO.

Die ursprünglich eingeklagte Summe von über 600.000 Euro wurde auf etwa 405.000 Euro reduziert, nachdem die Beklagte Bruttolöhne für gewerbliche Arbeitnehmer gemeldet hatte.

Fazit und Empfehlungen

Dieses Urteil unterstreicht die hohen Anforderungen an die Berufungsbegründung im Arbeitsrecht. Unternehmen und ihre Rechtsvertreter müssen:

  1. Alle tragenden Urteilsgründe identifizieren und angreifen
  2. Substanzielle rechtliche Argumentation statt pauschaler Behauptungen entwickeln
  3. Bei Sozialkassenbeitragsfragen den betrieblichen Gesamtzweck berücksichtigen
  4. Frühzeitig qualifizierte Rechtsberatung in Anspruch nehmen

Die Entscheidung zeigt auch, dass die Gerichte bei der Abgrenzung zwischen baugewerblichen und anderen Tätigkeiten eine ganzheitliche Betrachtung vornehmen und nicht nur auf einzelne Arbeitsvorgänge abstellen.


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