BAG-Urteil: Wann unterliegen tarifvertragliche Regelungen der AGB-Kontrolle?
BAG – Urteil vom 29. Januar 2025 (Az. 4 AZR 83/24)
Das Wichtigste in Kürze
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 29. Januar 2025 eine wichtige Entscheidung zur Bezugnahme auf Tarifverträge in Arbeitsverträgen getroffen. Das Urteil klärt, unter welchen Voraussetzungen tarifvertragliche Regelungen der AGB-Kontrolle unterliegen und wann sie davon befreit sind.
Der Fall: Gekürztes Gehalt trotz fehlender Tarifbindung
Ein außertariflich beschäftigter Ausbildungsleiter klagte gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber auf Zahlung von 7.459,70 Euro brutto. Das Unternehmen hatte sein Gehalt aufgrund von Sanierungstarifverträgen gekürzt, obwohl der Arbeitnehmer nicht tarifgebunden war und einer entsprechenden Stundungsvereinbarung nicht zugestimmt hatte.
Die Vertragsklausel im Detail
Der Arbeitsvertrag enthielt folgende Bezugnahmeklausel:
„Sämtliche weiteren Vertragsbestandteile, wie Urlaubsanspruch, Urlaubsgeld, Sonderzahlung etc. richten sich nach den tarifrechtlichen Bestimmungen des Manteltarifvertrages der Hessischen Metallindustrie.“
Die zentrale Rechtsfrage: AGB-Kontrolle bei Tarifvertragsbezugnahme
Das BAG musste klären, ob die im Manteltarifvertrag enthaltene Ausschlussfristenregelung einer AGB-Kontrolle unterliegt oder ob sie privilegiert behandelt wird.
Grundsatz: Keine AGB-Kontrolle bei Gesamtbezugnahme
Nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB sind Tarifverträge Rechtsvorschriften gleichgestellt. Eine Inhaltskontrolle arbeitsvertraglich in Bezug genommener Tarifverträge erfolgt daher grundsätzlich nicht.
Voraussetzung: Die Gesamtheit der Regelungen des einschlägigen Tarifvertrags muss in Bezug genommen werden.
Warum ist eine Gesamtbezugnahme erforderlich?
Das BAG begründet dies mit der Vermutung der Angemessenheit:
- Tarifverträge entstehen durch Verhandlungen gleichberechtigter Partner.
- Erst die Gesamtheit der Regelungen gewährleistet einen angemessenen Interessensausgleich.
- Punktuelle Bezugnahmen können diese Balance stören.
Die Entscheidung des BAG
1. Umfassende Bezugnahme liegt vor
Das Gericht stellte fest, dass die Klausel „sämtliche weiteren Vertragsbestandteile“ eine umfassende Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag bewirkt. Die beispielhafte Aufzählung („wie . etc.“) schränkt den Bezugnahmeumfang nicht ein.
2. Zurückverweisung wegen fehlender Prüfung
Das Landesarbeitsgericht hatte jedoch nicht geprüft, ob tatsächlich der gesamte einschlägige
Tarifvertrag in Bezug genommen wurde. Entscheidend ist, ob die im Arbeitsvertrag enthaltenen
abweichenden Regelungen (Überstundenabgeltung, Kündigungsfrist) lediglich deklaratorischen
Charakter haben.
Praktische Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Für Arbeitgeber
✓ Vorteil bei Gesamtbezugnahme:
- Keine AGB-Kontrolle tariflicher Regelungen
- Rechtssicherheit bei der Vertragsgestaltung
- Schutz vor Unwirksamkeit einzelner Klauseln
⚠ Risiko bei Teilbezugnahme:
- Volle AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB
- Mögliche Unwirksamkeit ungünstiger Regelungen (z.B. Ausschlussfristen)
Für Arbeitnehmer
Bei Gesamtbezugnahme:
- Tarifliche Ausschlussfristen sind grundsätzlich wirksam.
- Ausnahme: Mindestlohnansprüche bleiben geltend machbar.
- Ansprüche müssen fristgerecht geltend gemacht werden.
Bei Teilbezugnahme:
- AGB-Kontrolle kann zu günstigeren Bedingungen führen.
- Ausschlussfristen können unwirksam sein.
- Längere Verjährungsfristen sind nach BGB möglich.
Besonderheiten bei außertariflichen Arbeitnehmern
Das BAG stellte klar: Auch bei außertariflichen Mitarbeitern kann ein einschlägiger Tarifvertrag vollständig in Bezug genommen werden. Entscheidend ist, dass das Arbeitsverhältnis grundsätzlich vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfasst wird.
Praxistipp: Worauf Sie achten sollten
Bei der Vertragsgestaltung
- Klare Formulierung: Verwenden Sie eindeutige Bezugnahmeklauseln.
- Gesamtbezugnahme anstreben: Vermeiden Sie punktuelle Verweise.
- Abweichende Regelungen: Prüfen Sie, ob diese deklaratorischen Charakter haben.
Bei bestehenden Verträgen
- Vertragsanalyse: Lassen Sie Ihre Arbeitsverträge rechtlich prüfen.
- Ausschlussfristen: Beachten Sie die Geltendmachungsfristen.
- Dokumentation: Halten Sie Ansprüche schriftlich fest.
Fazit: Rechtssicherheit durch professionelle Beratung
Die Entscheidung des BAG zeigt, wie komplex die Bezugnahme auf Tarifverträge sein kann. Kleinste Details in der Vertragsformulierung können große rechtliche Auswirkungen haben.
Unsere Empfehlung: Lassen Sie Ihre Arbeitsverträge von erfahrenen Arbeitsrechtsexperten prüfen. Nur so können Sie sicherstellen, dass Ihre Verträge rechtssicher gestaltet sind und Ihre Interessen optimal schützen.
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