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BGH-Urteil zum Werkstattrisiko: Neue Klarstellung für Geschädigte bei Verkehrsunfällen

BGH – Urteil vom 16. Januar 2024 (Az. VI ZR 266/22)

Das Wichtigste in Kürze

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine wichtige Entscheidung zum sogenannten Werkstattrisiko getroffen. Das Urteil klärt, unter welchen Umständen Geschädigte bei Verkehrsunfällen auch dann Reparaturkosten erstattet bekommen, wenn diese objektiv nicht erforderlich waren.

Was ist das Werkstattrisiko?

Das Werkstattrisiko beschreibt das Risiko, dass eine Werkstatt bei der Reparatur eines Unfallfahrzeugs:

  • Unnötige Arbeiten durchführt
  • Zu hohe Preise ansetzt
  • Unwirtschaftlich arbeitet

Grundsätzlich trägt bei verschuldensfreier Werkstattauswahl der Unfallverursacher bzw. dessen Haftpflichtversicherung dieses Risiko.

Die neue BGH-Entscheidung im Detail

Sachverhalt

Ein Pkw-Besitzer ließ sein nach einem Verkehrsunfall beschädigtes Fahrzeug reparieren. Die Werkstatt stellte 11.766,66 € brutto in Rechnung – etwa 27% mehr als das Schadensgutachten (9.227,62 €) ausgewiesen hatte. Die Haftpflichtversicherung zahlte bereits 11.401,45 €. Für die restlichen 365,21 € klagte der Geschädigte.

Das Problem

Der Geschädigte hatte die umstrittenen Reparaturkosten von 235,62 € noch nicht an die Werkstatt bezahlt, verlangte aber trotzdem Zahlung an sich selbst unter Berufung auf das Werkstattrisiko.

Die BGH-Entscheidung

Kernaussage des BGH

Bei unbezahlter Werkstattrechnung kann sich der Geschädigte zwar auf das Werkstattrisiko berufen, muss aber Zahlung an die Werkstatt – nicht an sich selbst – verlangen.

Konkrete Regelung:

  • Zahlung an die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die Werkstatt
  • Keine Zahlung an den Geschädigten selbst bei unbezahlter Rechnung
  • Vermeidung einer Bereicherung des Geschädigten auf Kosten des Schädigers

Rechtliche Hintergründe

Warum diese Regelung?

  1. Bereicherungsverbot: Der Geschädigte soll nicht bessergestellt werden, als wenn der Schaden nicht eingetreten wäre.
  2. Schutz des Schädigers: Dieser soll die Möglichkeit haben, sich mit der Werkstatt über unberechtigte Positionen auseinanderzusetzen.
  3. Praktikabilität: Vermeidung von Situationen, in denen der Geschädigte Geld erhält, aber die Werkstatt nicht bezahlt.

Grenzen des Werkstattrisikos

Das Werkstattrisiko greift nicht, wenn:

  • Der Geschädigte die Werkstatt schuldhaft schlecht ausgewählt hat
  • Ein Überwachungsverschulden vorliegt
  • Arbeiten abgerechnet werden, die nur „bei Gelegenheit“ mitausgeführt wurden
  • Der Geschädigte nachweislich nicht wirtschaftlich vorgegangen ist

Praktische Konsequenzen für Geschädigte

Was Sie als Geschädigter beachten sollten

  1. Sorgfältige Werkstattauswahl – dokumentieren Sie Ihre Auswahlkriterien
  2. Bei unbezahlter Rechnung: Klageantrag auf Zahlung an die Werkstatt richten
  3. Abtretung von Ansprüchen gegen die Werkstatt einkalkulieren
  4. Keine Bereicherung – Sie erhalten nur den tatsächlich geschuldeten Betrag

Für bereits laufende Verfahren:

  • Klageantrag kann entsprechend umgestellt werden (Klagebeschränkung nach § 264 Nr. 2 ZPO)
  • Verzugszinsen entstehen erst ab Umstellung des Klageantrags

Bedeutung für die Praxis

Diese Entscheidung schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten:

  • Geschädigte können sich weiterhin auf das Werkstattrisiko berufen
  • Versicherungen haben Schutz vor Bereicherung der Geschädigten
  • Werkstätten müssen mit direkter Konfrontation durch Versicherungen rechnen

Fazit

Das BGH-Urteil stärkt das bewährte System des Werkstattrisikos, verhindert aber gleichzeitig Missbrauch. Als Geschädigter sollten Sie:

  • ✅ Qualifizierte Werkstatt sorgfältig auswählen
  • ✅ Sachverständigengutachten zur Schadensschätzung einholen
  • ✅ Rechtlichen Beistand bei komplexeren Fällen suchen
  • ✅ Klageantrag korrekt formulieren (Zahlung an Werkstatt)

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Schlagwörter: Werkstattrisiko, Verkehrsunfall, BGH-Urteil, Schadensersatz, Reparaturkosten, Haftpflichtversicherung, Verkehrsrecht Leipzig

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