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BGH-Urteil zum Werkstattrisiko: Werkstatt trägt Risiko bei Abtretung selbst

BGH – Urteil vom Januar 2024 (VI ZR 239/22)

Das Wichtigste in Kürze

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 16. Januar 2024 eine wichtige Entscheidung zum sogenannten Werkstattrisiko gefällt. Die Entscheidung betrifft die Frage, wer das Risiko für nicht ordnungsgemäß durchgeführte oder nicht erforderliche Reparaturarbeiten trägt, wenn die Werkstatt ihre Forderung gegen den Haftpflichtversicherer aus abgetretenem Recht geltend macht.

Der Sachverhalt: Streit um Arbeitsplatzwechsel-Kosten

Nach einem Verkehrsunfall ließ die Geschädigte ihr Fahrzeug von einer Kfz-Werkstatt reparieren. Die Werkstatt stellte Reparaturkosten in Höhe von 5.067,15 Euro in Rechnung. Die Geschädigte trat ihre Schadensersatzansprüche gegen den Unfallverursacher und dessen Haftpflichtversicherer an die Werkstatt ab.

Der Haftpflichtversicherer weigerte sich, die Position „Arbeitsplatzwechsel“ in Höhe von 227,31 Euro zu zahlen. Er machte geltend, dass ein solcher Arbeitsschritt tatsächlich nicht durchgeführt worden sei, da die Werkstatt über eine eigene Lackiererei auf dem Betriebsgelände verfüge.

Die Rechtslage: Was ist das Werkstattrisiko?

Das Werkstattrisiko ist ein wichtiger Grundsatz im Schadensersatzrecht. Normalerweise kann sich ein Geschädigter darauf berufen, dass:

  • Der Schädiger trägt das Risiko für unwirtschaftliche oder unsachgemäße Arbeitsweise der Werkstatt.
  • Auch objektiv nicht erforderliche Reparaturkosten sind ersatzfähig.
  • Dies gilt im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung zum Schutz des Geschädigten.

Voraussetzungen für das Werkstattrisiko

Das Werkstattrisiko greift, wenn:

  • Der Geschädigte das Fahrzeug ohne eigenes Verschulden zur Reparatur gibt
  • Kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vorliegt
  • Die Kosten in der fremden Einflusssphäre der Werkstatt entstehen

Die BGH-Entscheidung: Werkstatt trägt Risiko bei Abtretung

Kernaussage des Urteils

Der BGH stellte klar: Bei Abtretung der Schadensersatzforderung an die Werkstatt kann sich diese nicht auf das Werkstattrisiko berufen. Die Werkstatt trägt das Risiko für ihre eigenen Arbeiten selbst.

Begründung des Gerichts

Der BGH begründete seine Entscheidung mit folgenden Argumenten:

  1. Schutzzweck: Das Werkstattrisiko wurde ausschließlich zum Schutz des Geschädigten entwickelt, nicht der Werkstatt.
  2. Interessenlage: Der Schädiger hat ein schutzwürdiges Interesse, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibt.
  3. Vorteilsausgleich: Nur im Verhältnis zum Geschädigten ist ein Vorteilsausgleich durch Abtretung von Ansprüchen gegen die Werkstatt möglich.
  4. Bereicherungsverbot: Eine andere Lösung würde zu ungerechtfertigten Bereicherungen führen.

Praktische Auswirkungen

Für die Praxis bedeutet dies:

  • Werkstätten müssen bei Abtretungen beweisen, dass abgerechnete Arbeiten tatsächlich durchgeführt wurden.
  • Geschädigte sollten bei unbezahlten Rechnungen Zahlung an die Werkstatt (nicht an sich) verlangen.
  • Haftpflichtversicherer können bei Abtretungen strengere Maßstäbe anlegen.

Handlungsempfehlungen für Betroffene

Für Geschädigte nach Verkehrsunfällen

  • Lassen Sie sich von einem Sachverständigen beraten.
  • Bei unbezahlter Werkstattrechnung: Verlangen Sie Zahlung an die Werkstatt.
  • Treten Sie Ihre Ansprüche nur nach sorgfältiger Prüfung ab.
  • Holen Sie sich anwaltliche Beratung bei komplexen Fällen.

Für Werkstätten

  • Dokumentieren Sie alle Arbeitsschritte sorgfältig
  • Rechnen Sie nur tatsächlich durchgeführte Leistungen ab
  • Prüfen Sie Abtretungen genau auf ihre Risiken
  • Lassen Sie sich bei Streitigkeiten anwaltlich beraten

Fazit: Wichtige Weichenstellung für die Praxis

Das BGH-Urteil stellt klar, dass das Werkstattrisiko nicht übertragbar ist. Dies schützt Schädiger und Haftpflichtversicherer vor ungerechtfertigten Zahlungen und zwingt Werkstätten zu sorgfältiger Dokumentation ihrer Arbeiten.

Die Entscheidung zeigt die Komplexität des Schadensersatzrechts auf und verdeutlicht, warum fachkundige Beratung in solchen Fällen unerlässlich ist.


Rechtsberatung in Leipzig

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Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar. Bei konkreten Rechtsfragen wenden Sie sich bitte an einen Rechtsanwalt.

  • Aktenzeichen: BGH, Urteil vom 16. Januar 2024 – VI ZR 239/22
  • Vorinstanzen: AG Stuttgart, LG Stuttgart
  • Rechtsgebiete: Verkehrsrecht, Schadensersatzrecht, Werkstattrisiko

WKR Rechtsanwaltsgesellschaft mbH