Fahrerlaubnisentziehung auch bei E-Scooter-Fahrt unter Cannabiseinfluss: VG Berlin bestätigt Trennungsgebot
Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 17.07.2023 (VG 11 L 184/23)
Das Wichtigste in Kürze
Auch beim fahrerlaubnisfreien E-Scooter-Fahren gilt das Trennungsgebot zwischen Cannabiskonsum und Fahrzeugführung. Das VG Berlin entschied am 17.07.2023, dass bereits die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ausreicht, um eine Fahrerlaubnisentziehung zu rechtfertigen.
Der Fall: E-Scooter-Fahrt mit 4,4 ng/ml THC im Blut
Ein Fahrerlaubnisinhaber führte am 11. Juli 2022 einen E-Scooter im öffentlichen Straßenverkehr, nachdem er Cannabis konsumiert hatte. Die Blutprobe ergab folgende Werte:
- 4,4 ng/ml THC
- 33,0 ng/ml THC-Carbonsäure
- 1,7 ng/ml 11-Hydroxy-THC
Bei der polizeilichen Befragung gab der Betroffene zunächst an, „jeden Tag zu rauchen“ und „jeden Tag Auto zu fahren“, stellte diese Aussage später jedoch als Scherz dar.
Entscheidung des VG Berlin: Drei zentrale Leitsätze
Das Verwaltungsgericht Berlin stellte in seinem Beschluss vom 17.07.2023 (Az.: VG 11 L 184/23) drei wichtige Rechtsgrundsätze auf.
1. Trennungsgebot gilt auch für E-Scooter
Auch beim erlaubnisfreien Fahren mit Elektrokleinstfahrzeugen wie E-Scootern ist das Trennungsgebot zwischen Cannabiskonsum und Fahrzeugführung zu beachten. E-Scooter sind rechtlich Kraftfahrzeuge im Sinne der Fahrerlaubnis-Verordnung, weshalb dieselben Regeln gelten.
2. Niedrige Schwelle für Fahrerlaubnisentziehung
Die Grenze hinnehmbaren Cannabiskonsums ist bereits überschritten, wenn auch nur die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht. Es muss keine Gewissheit über eine tatsächliche Beeinträchtigung vorliegen.
3. MPU zur Zukunftsprognose erforderlich
Bei gelegentlichen Cannabiskonsumenten, die gegen das Trennungsgebot verstoßen, bedarf es regelmäßig eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU), um zu klären, ob zukünftig eine Trennung zwischen Konsumumständen und Fahrzeugführung erfolgen wird.
Rechtliche Einordnung: Wann liegt gelegentlicher Konsum vor?
Als gelegentlicher Cannabiskonsum gilt bereits, wenn der Betroffene in mindestens zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat, die einen gewissen zeitlichen Zusammenhang aufweisen. Ein einmaliger oder experimenteller Konsum muss glaubhaft dargelegt werden.
THC-Grenzwerte und Fahrsicherheit
Ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml im Blutserum fehlt bereits die Fahrtüchtigkeit. Mit 4,4 ng/ml lag der Betroffene deutlich über diesem Grenzwert. Zusätzlich deuteten Schlangenlinienfahrt und Annäherung an geparkte Fahrzeuge auf eine signifikante Beeinträchtigung hin.
Gutachtenanordnung und deren Voraussetzungen
Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete rechtmäßig ein MPU an, da:
- Gelegentlicher Cannabiskonsum vorlag
- Ein Verstoß gegen das Trennungsgebot dokumentiert war
- Weitere Tatsachen Zweifel an der Fahreignung begründeten
Die dreimonatige Frist zur Gutachtenvorlage war angemessen. Der Betroffene kam dieser Aufforderung nicht nach, sodass auf Nichteignung geschlossen werden durfte.
Praktische Konsequenzen für Betroffene
Sofortige Vollziehung berechtigt
Das Gericht bestätigte die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung. Das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit überwiegt die privaten Interessen des Betroffenen, auch wenn dies zu wirtschaftlichen Nachteilen führt.
Widerspruch aussichtslos ohne MPU
Ohne Vorlage des angeordneten MPU sind Widersprüche gegen die Fahrerlaubnisentziehung in der Regel erfolglos. Die Behörde darf bei Nichtvorlage auf fehlende Fahreignung schließen.
Handlungsempfehlungen
Für Cannabiskonsumenten
- Strikte Trennung zwischen Cannabiskonsum und jeder Art der Fahrzeugführung (auch E-Scooter)
- Bei Auffälligkeiten: Unverzügliche Beauftragung einer MPU-Stelle
- Rechtzeitige anwaltliche Beratung vor Ablauf gesetzter Fristen
Für Rechtsanwälte
- Frühzeitige Prüfung der Gutachtenanordnung auf formelle und materielle Rechtmäßigkeit
- Beratung über Erfolgsaussichten von Widersprüchen
- Begleitung des MPU-Verfahrens zur optimalen Vorbereitung
Fazit: Null-Toleranz auch bei E-Scootern
Das Urteil macht deutlich, dass das Trennungsgebot zwischen Cannabiskonsum und Fahrzeugführung ausnahmslos gilt – auch für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge wie E-Scooter. Bereits geringe THC-Werte können zur Fahrerlaubnisentziehung führen, wenn sie mit einem dokumentierten Verstoß gegen das Trennungsgebot einhergehen.
Bei cannabis-bedingten Fahrerlaubnisproblemen sollten Betroffene umgehend fachkundigen
Rechtsrat einholen, um ihre Rechte optimal wahren zu können.
Rechtsgebiete: Fahrerlaubnisrecht, Betäubungsmittelrecht, Verkehrsordnungswidrigkeiten