Fristlose Kündigung wegen Falschangaben zum Einkommen: Wann ist sie berechtigt?
AG Gießen – Urteil vom 23.03.2022 (Az. 42 C 273/21)
Das Wichtigste in Kürze
AG Gießen stärkt Mieterrechte: Falschangaben rechtfertigen nicht automatisch fristlose Kündigung
- Falschangaben bei der Selbstauskunft rechtfertigen nicht automatisch eine fristlose Kündigung
- Entscheidend ist eine Interessensabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände
- Wenn das Gesamteinkommen der Mieter ausreicht, kann die Täuschung unschädlich sein
- Nachträgliche Änderungen der Verhältnisse können eine Kündigung unwirksam machen
Der Fall: Arbeitslosigkeit verschwiegen
In dem vom Amtsgericht Gießen entschiedenen Fall hatte ein Mieter in der Selbstauskunft wahrheitswidrig angegeben, bei einer Firma beschäftigt zu sein und über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.200 Euro zu verfügen. Tatsächlich war das Arbeitsverhältnis bereits vor Vertragsschluss beendet worden. Die Vermieter kündigten daraufhin fristlos wegen arglistiger Täuschung.
Die rechtlichen Grundlagen
Fristlose Kündigung nach § 543 BGB
Eine außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ist nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich. Dabei muss unter Berücksichtigung aller Umstände und nachAbwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Kündigenden unzumutbar sein.
Aufklärungs- und Auskunftspflichten
Vermieter haben berechtigte Interessen, sich vor Vertragsschluss über die Bonität und Zuverlässigkeit potentieller Mieter zu informieren. Mieter können daher nach:
- Einkommens- und Vermögensverhältnissen
- Vorvermietern und vorherigen Mietverhältnissen
- Erfüllung früherer mietvertraglicher Pflichten
befragt werden.
Die Entscheidung des Gerichts
Interessensabwägung ist entscheidend
Das Amtsgericht Gießen wies die Räumungsklage ab und stellte fest, dass die fristlose Kündigung unwirksam war. Entscheidend waren folgende Faktoren:
- Ausreichendes Gesamteinkommen: Die Ehefrau des Mieters verfügte über ein
Nettoeinkommen von 3.900 Euro, was allein zur Zahlung der Bruttomiete von 1.500 Euro ausreichte.
Das Interesse der Vermieter an der Einkommensfrage dient ausschließlich der Bonitätsprüfung.
- Nachträgliche Änderung der Verhältnisse: Der Mieter hatte bereits vor Ausspruch der
Kündigung wieder eine Anstellung gefunden und verdiente ein vergleichbares Gehalt wie
ursprünglich angegeben.
Wann ist eine fristlose Kündigung berechtigt?
Eine fristlose Kündigung wegen Falschangaben kann berechtigt sein, wenn:
- Die Täuschung sich tatsächlich auf das Mietverhältnis auswirkt.
- Die Bonität der Mieter insgesamt unzureichend ist.
- Die falschen Angaben nicht nachträglich durch veränderte Umstände „geheilt“ werden.
- Das Mietverhältnis noch nicht längere Zeit bestanden hat.
Praktische Tipps für Vermieter
Vor Vertragsschluss
- Umfassende und konkrete Selbstauskünfte einholen
- Nachweise für Einkommensverhältnisse verlangen
- Bei Zweifeln zusätzliche Sicherheiten vereinbaren
Bei Falschangaben
- Nicht vorschnell kündigen
- Gesamtsituation bewerten (Gesamteinkommen aller Mieter)
- Prüfen, ob sich die Verhältnisse zwischenzeitlich geändert haben
- Rechtliche Beratung einholen
Alternativen zur fristlosen Kündigung
Statt einer fristlosen Kündigung können Vermieter bei Falschangaben auch:
- Anfechtung nach §§ 119, 123 BGB prüfen
- Schadensersatz geltend machen
- Ordentliche Kündigung bei Vorliegen anderer Kündigungsgründe
Praktische Bedeutung für Mieter
Ehrlichkeit zahlt sich aus
Mieter sollten in Selbstauskünften stets wahrheitsgemäße Angaben machen. Falschangaben können nicht nur zur Kündigung führen, sondern auch Schadensersatzansprüche auslösen.
Bei Änderungen informieren
Wenn sich die Einkommenssituation nach Vertragsschluss verbessert, sollten Mieter dies dokumentieren können. Dies kann bei eventuellen Kündigungsverfahren von entscheidender Bedeutung sein.
Fazit
Das Urteil des Amtsgerichts Gießen zeigt, dass Falschangaben bei der Selbstauskunft nicht automatisch zu einer wirksamen fristlosen Kündigung führen. Entscheidend ist immer eine umfassende Interessensabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.
Für Vermieter bedeutet dies: Eine sorgfältige Prüfung der Gesamtsituation vor Ausspruch einer Kündigung ist unerlässlich. Für Mieter gilt: Ehrliche Angaben von Anfang an schützen vor späteren Problemen, aber auch nachträgliche Verbesserungen der Einkommenssituation können entscheidend sein.
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