Gleiches Geld für gleiche Arbeit: BAG stärkt Rechte von Teilzeitbeschäftigten
Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 18. Januar 2023 (Az. 5 AZR 108/22)
Das Wichtigste in Kürze
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 18. Januar 2023 ein wichtiges Signal für die Rechte von Teilzeitbeschäftigten gesetzt. Das Gericht entschied eindeutig: Geringfügig Beschäftigte dürfen bei gleicher Qualifikation und identischer Tätigkeit nicht weniger pro Stunde verdienen als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen
Der Fall: Rettungsassistent klagt auf gleiches Entgelt
In dem entschiedenen Fall ging es um einen Rettungsassistenten, der seit 2015 in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis bei einem Rettungsdienst tätig war. Während die „hauptamtlichen“ Rettungsassistenten 17,00 Euro brutto pro Stunde erhielten, bekam der klagende „nebenamtliche“ Rettungsassistent nur 12,00 Euro brutto pro Stunde – ein Unterschied von 5,00 Euro pro Stunde.
Der Arbeitgeber rechtfertigte diese Differenz damit, dass:
- Die hauptamtlichen Kräfte eine größere Planungssicherheit böten
- Der Planungsaufwand bei nebenamtlichen Kräften höher sei
- Die nebenamtlichen Kräfte ihre Arbeitszeiten frei einteilen könnten
BAG: Keine sachlichen Gründe für unterschiedliche Bezahlung
Das Bundesarbeitsgericht wies diese Argumentation entschieden zurück. Die Richter stellten fest, dass die unterschiedliche Stundenvergütung gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) verstößt.
Kernaussagen des Urteils
- Mittelbare Diskriminierung liegt vor: Auch wenn die Bezahlung nicht direkt an den Arbeitsumfang geknüpft war, führte das System zu einer mittelbaren Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten.
2. Keine sachliche Rechtfertigung: Die vom Arbeitgeber angeführten Gründe rechtfertigen keine unterschiedliche Stundenvergütung:
- Planungssicherheit hängt nicht von der Vergütungshöhe ab
- Geringerer Planungsaufwand wurde nicht substantiiert belegt
- Freie Zeiteinteilung ist nicht nur vorteilhaft für Arbeitnehmer
3. Identische Tätigkeit erfordert gleiche Bezahlung: Bei gleicher Qualifikation und identischer Arbeit ist eine Differenzierung in der Stundenvergütung sachlich nicht zu begründen.
Praktische Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Für Arbeitgeber bedeutet das Urteil
- Überprüfung der Vergütungsstrukturen: Verschiedene Stundenlöhne für gleiche Tätigkeiten müssen sachlich begründet werden.
- Dokumentationspflicht: Unterschiede müssen objektiv nachvollziehbar sein.
- Rechtssicherheit: Klare Vergütungsrichtlinien vermeiden Diskriminierungsvorwürfe.
Für Arbeitnehmer ergeben sich folgende Rechte:
- Anspruch auf gleiche Stundenvergütung bei identischer Tätigkeit
- Nachzahlungsanspruch für bereits geleistete Arbeit
- Stärkung der Rechtsposition gegenüber dem Arbeitgeber
Wann liegt eine unzulässige Teilzeitdiskriminierung vor?
Das BAG hat klare Kriterien definiert:
- Vergleichbare Tätigkeit: Gleiche oder ähnliche Arbeit mit derselben Qualifikation
- Schlechtere Behandlung: Geringere Stundenvergütung ohne sachlichen Grund
- Fehlende Rechtfertigung: Keine objektiven Gründe für die Ungleichbehandlung
Wichtige Ausnahmen und Grenzen
Nicht jede unterschiedliche Bezahlung ist diskriminierend. Sachliche Gründe können sein:
- Unterschiedliche Qualifikationen oder Berufserfahrung
- Verschiedene Arbeitsanforderungen oder Verantwortlichkeiten
- Objektiv nachweisbare Mehrleistungen
Gelten die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Besonderheiten ?
Das BAG stellte ausdrücklich klar: Die besonderen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für geringfügig Beschäftigte rechtfertigen keine geringere Bruttovergütung. Diese Regelungen verfolgen andere Zwecke und ändern nichts am Wert der Arbeitsleistung.
Handlungsempfehlungen
Für betroffene Arbeitnehmer
- Vergütungsvergleich: Prüfen Sie, ob Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit mehr verdienen
- Dokumentation: Sammeln Sie Belege für Ihre Qualifikation und Tätigkeiten
- Rechtliche Beratung: Lassen Sie Ihre Ansprüche frühzeitig prüfen
Für Arbeitgeber
- Vergütungsaudit: Überprüfen Sie bestehende Entgeltstrukturen
- Transparenz: Schaffen Sie nachvollziehbare Vergütungssysteme
- Beratung: Holen Sie sich rechtlichen Rat bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen
Fazit: Wichtiger Schritt für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz
Das BAG-Urteil stärkt die Rechte von Teilzeitbeschäftigten erheblich und setzt ein wichtiges Zeichen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz. Arbeitgeber sind nun mehr denn je gefordert, ihre Vergütungsstrukturen zu überprüfen und sicherzustellen, dass gleiche Arbeit gleich entlohnt wird.
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Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen sollten Sie stets einen Fachanwalt konsultieren.