Justitia

Die WKR informiert: Interessante Urteile aus verschiedenen Rechtsgebieten.

Sie haben Fragen oder benötigen juristische Unterstützung?

BGH-Urteil: Auch Heilpraktiker-Atteste können Härtefall bei Eigenbedarfskündigung begründen

BGH – Urteil vom 16. April 2025 (Az. VIII ZR 270/22)

Das Wichtigste in Kürze

BGH stärkt Mieterrechte: Nicht nur fachärztliche Atteste zählen bei gesundheitlicher Härte

Der Bundesgerichtshof die Rechte von Mietern bei Eigenbedarfskündigungen gestärkt. Das Gericht stellte klar, dass auch Stellungnahmen von medizinisch qualifizierten Behandlern ohne Facharzt-Status ausreichen können, um eine gesundheitliche Härte zu belegen.

Der Fall: Depression als Hinderungsgrund für Umzug

Ein seit 2006 bestehender Mietvertrag in Berlin wurde von der Vermieterin wegen Eigenbedarfs zum 31. Januar 2021 gekündigt. Der Mieter widersprach der Kündigung und berief sich auf eine gesundheitliche Härte nach § 574 BGB. Als Nachweis legte er eine Stellungnahme seines Psychoanalytikers vor, der als Heilpraktiker für Psychotherapie tätig war.

Die Stellungnahme beschrieb eine akute Depression mit emotionaler Instabilität und Existenzängsten. Ein späteres Attest warnte sogar vor Suizidgefahr bei einem erzwungenen Umzug. Sowohl das Amts- als auch das Landgericht wiesen die Härtefalleinwendung zurück – hauptsächlich, weil kein fachärztliches Attest vorlag.

Die BGH-Entscheidung: Flexiblere Anforderungen an medizinische Nachweise

Kernaussagen des Urteils

  1. Kein Zwang zu fachärztlichen Attesten: Der BGH stellte klar, dass ein fachärztliches Attest zwar
    der Regelfall ist („insbesondere“), aber nicht zwingend erforderlich. Die bisherige Rechtsprechung
    wurde dahingehend präzisiert, dass auch andere medizinische Stellungnahmen ausreichen können.
  2. Entscheidend ist die medizinische Qualifikation: Ausschlaggebend ist, ob der Behandler
    bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild medizinisch qualifiziert ist. Ein Heilpraktiker für
    Psychotherapie kann bei psychischen Erkrankungen durchaus die erforderliche Kompetenz besitzen.
  3. Inhalt vor Form: Das Gericht betonte, dass es auf „die konkreten Umstände, insbesondere den
    konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests“ ankommt. Eine pauschale Ablehnung nur aufgrund der
    fehlenden Facharzt-Eigenschaft ist nicht zulässig.

Praktische Auswirkungen für Mieter und Vermieter

Für Mieter

  • Erweiterte Nachweismöglichkeiten: Stellungnahmen von Heilpraktikern, Psychotherapeuten oder anderen qualifizierten Behandlern können ausreichen.
  • Bessere Erfolgschancen: Gesundheitliche Härtefälle lassen sich flexibler nachweisen.
  • Wichtig: Die Stellungnahme muss ausführlich und medizinisch fundiert sein.

Für Vermieter:

  • Gründlichere Prüfung erforderlich: Nicht-fachärztliche Atteste können nicht pauschal abgelehnt werden.
  • Längere Verfahren möglich: Mehr medizinische Nachweise müssen inhaltlich gewürdigt werden.
  • Sachverständigengutachten: Bei substantiiertem Vorbringen ist regelmäßig ein Gutachten einzuholen.

Rechtlicher Hintergrund: § 574 BGB (Härtefallregelung)

Nach § 574 Abs. 1 BGB kann ein Mieter der Kündigung widersprechen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses eine unbillige Härte darstellen würde. Gesundheitliche Gründe sind dabei besonders schutzwürdig, da sie das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) betreffen.

Voraussetzungen einer gesundheitlichen Härte

  • Schwerwiegende Gesundheitsgefahr durch Umzug
  • Substantiierter medizinischer Vortrag
  • Abwägung mit berechtigten Vermieterinteressen

Praxistipps für Betroffene

Für Mieter zu beachten

  • Frühzeitig handeln: Widerspruch innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Kündigung
  • Ausführliche Stellungnahme: Detaillierte Beschreibung der gesundheitlichen Auswirkungen eines Umzugs
  • Qualifizierte Behandler: Nachweis durch medizinisch kompetente Person (nicht zwingend Facharzt)
  • Konkrete Angaben: Spezifische Folgen und Verschlechterungen benennen

Für Vermieter zu beachten

  • Inhaltliche Prüfung: Nicht nur formale Kriterien beachten
  • Rechtliche Beratung: Komplexe Rechtslage erfordert fachkundige Einschätzung
  • Sachverständigengutachten: Bei begründeten Zweifeln Gutachten beantragen

Fazit: Stärkung der Mieterrechte bei gesundheitlichen Problemen

Das BGH-Urteil vom April 2025 bedeutet eine wichtige Stärkung der Mieterrechte. Gesundheitliche Härtefälle lassen sich nun flexibler nachweisen, ohne dass zwingend ein Facharzt konsultiert werden muss. Gleichzeitig bleiben die Anforderungen an eine medizinisch fundierte Begründung bestehen.

Für beide Seiten gilt: Die Rechtslage ist komplex und erfordert eine individuelle Betrachtung des Einzelfalls. Eine frühzeitige rechtliche Beratung ist sowohl für Mieter als auch Vermieter empfehlenswert.


Haben Sie Fragen zu Eigenbedarfskündigungen oder Härtefallregelungen?

Unsere erfahrenen Rechtsanwälte in Leipzig beraten Sie gern zu allen Fragen des Mietrechts. Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung zu Ihrem Fall.

Kontakt

Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Für eine individuelle Beratung wenden Sie sich bitte an einen Rechtsanwalt.

WKR Rechtsanwaltsgesellschaft mbH