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Kinderwagen im Hausflur: Wann dürfen Mieter Gemeinschaftsflächen nutzen?

AG Neukölln- Urteil vom 1. Juni 2023 (Az.: 10 C 121/22)

Das Wichtigste in Kürze

AG Neukölln stärkt Mieterrechte bei der Nutzung von Hausfluren

Die Frage, ob Mieter berechtigt sind, Kinderwagen im Hausflur abzustellen, beschäftigt regelmäßig Vermieter und Mieter gleichermaßen. Ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts Neukölln bringt nun Klarheit in diese häufig streitige Rechtsfrage und stärkt die Rechte der Mieter erheblich.

Der Fall: Kündigung wegen Kinderwagen und Müll im Hausflur

Die Vermieter einer 4-Zimmer-Wohnung in Berlin kündigten ihrer Mieterin mehrfach – sowohl außerordentlich als auch ordentlich. Der Grund: Die Tochter der Mieterin stellte bei Besuchen regelmäßig ihren Kinderwagen im Hausflur ab. Zusätzlich warfen die Vermieter der Mieterin vor, Müll vor ihrer Wohnungstür zu deponieren.

Nach erfolglosen Abmahnungen sprachen die Vermieter zwischen August 2021 und November 2022 insgesamt drei Kündigungen aus. Als weiterer Kündigungsgrund kam später noch ein Ermittlungsverfahren gegen den Sohn der Mieterin wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz hinzu.

Die Entscheidung: Mieter haben Mitbenutzungsrecht an Gemeinschaftsflächen

Das Amtsgericht Neukölln wies die Räumungsklage vollständig ab und bestätigte damit die Rechtsposition der Mieterin.

1. Kinderwagen im Hausflur ist grundsätzlich erlaubt

Vermietet der Eigentümer Wohnungen in seinem Haus, so erstreckt sich das Recht des Mieters zur Benutzung der gemieteten Räume auch auf das Recht zur Mitbenutzung der Gemeinschaftsflächen wie den Hausflur.

Entscheidend ist dabei:

  • Der Mieter muss auf das Abstellen angewiesen sein
  • Die Größe des Hausflurs muss das Abstellen zulassen
  • Das Mitbenutzungsrecht erstreckt sich auch auf Besucher des Mieters

2. Zumutbarkeit der Unterbringung in der Wohnung

Die Vermieter können nicht pauschal verlangen, dass Kinderwagen in der Wohnung untergebracht werden. Das Gericht prüft im Einzelfall:

  • Größe des Flurbereichs in der Wohnung
  • Möblierung der Wohnung
  • Praktische Zumutbarkeit der Unterbringung

Im vorliegenden Fall war der Wohnungsflur mit nur 1,50 m x 2,00 m verhältnismäßig klein und die
Wohnung vollmöbliert.

3. Brandschutz als Argument meist unzureichend

Die Vermieter beriefen sich auf Brandschutzbedenken. Das Gericht stellte jedoch fest:

  • Pauschale Brandschutzbedenken reichen nicht aus
  • Es muss eine konkrete Brandgefahr dargelegt werden
  • Einzelfälle von Brandstiftung an Kinderwagen begründen keine allgemeine Gefahr
  • Solange ein Passieren des Hausflurs möglich bleibt, ist das Abstellen zulässig

Kurzzeitiges Abstellen von Müll vor der Wohnungstür

Auch das kurzzeitige Abstellen von Mülltüten vor der eigenen Wohnungstür zum Zweck der späteren ordnungsgemäßen Entsorgung bewertete das Gericht als zulässig. Dies stelle keinen Verstoß gegen die Hausordnung dar, solange keine dauerhafte „Vermüllung“ des Hausflurs drohe.

Ermittlungsverfahren allein rechtfertigt keine Kündigung

Besonders bemerkenswert ist die Entscheidung des Gerichts zum Ermittlungsverfahren gegen den Sohn der Mieterin. Das Gericht betonte:

  • Ein laufendes Ermittlungsverfahren allein rechtfertigt keine Kündigung.
  • Die Unschuldsvermutung gilt auch im Zivilrecht.
  • Eine Störung des Hausfriedens muss konkret nachgewiesen werden.
  • Vermieter müssen darlegen, dass es zu unmittelbaren Beeinträchtigungen im Wohnumfeld gekommen ist.

Praktische Tipps für Mieter und Vermieter

Für Mieter

  • Nutzen Sie Ihr Mitbenutzungsrecht an Gemeinschaftsflächen bewusst
  • Stellen Sie Kinderwagen möglichst so ab, dass andere Hausbewohner nicht behindert werden
  • Dokumentieren Sie die Größenverhältnisse in Ihrer Wohnung bei Streitigkeiten
  • Entsorgen Sie Müll zeitnah und ordnungsgemäß

Für Vermieter

  • Prüfen Sie vor einer Kündigung sorgfältig die Rechtslage
  • Sammeln Sie konkrete Beweise für Vertragsverletzungen
  • Pauschale Brandschutzargumente reichen meist nicht aus
  • Berücksichtigen Sie die Verhältnismäßigkeit Ihrer Maßnahmen

Fazit: Mieterrechte gestärkt

Das Urteil des AG Neukölln stärkt die Rechte der Mieter erheblich und zeigt, dass Vermieter nicht ohne weiteres wegen der Nutzung von Gemeinschaftsflächen kündigen können. Die Entscheidung macht deutlich, dass eine sorgfältige Interessenabwägung zwischen Vermieter- und Mieterrechten erforderlich ist.

Für Mieter bedeutet dies mehr Rechtssicherheit bei der alltäglichen Nutzung ihrer Wohnung und der dazugehörigen Gemeinschaftsflächen. Vermieter sollten künftig genauer prüfen, ob ihre Kündigungsgründe vor Gericht Bestand haben werden.


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Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen sollten Sie sich an einen Rechtsanwalt wenden.

Schlagwörter: Mietrecht, Kinderwagen Hausflur, Kündigung Mieter, Gemeinschaftsflächen, AG Neukölln, Mieterrechte, Brandschutz, Hausordnung

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