Wann Arbeitgeber die private Handynummer verlangen dürfen
Thüringer LAG – Urteil vom 16. Mai 2018 (Az.: 6 Sa 442/17 und 6 Sa 444/17)
Das Wichtigste in Kürze
Das Thüringer Landesarbeitsgericht hat in einem wegweisenden Urteil vom 16. Mai 2018 entschieden: Arbeitgeber dürfen die private Mobiltelefonnummer ihrer Angestellten nicht ohne deren Zustimmung erfassen. Die Herausgabe der Handynummer gegen den Willen des Arbeitnehmers stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar.
Der Fall: Landkreis fordert Handynummern für Notfälle
Ein Sachbearbeiter im Gesundheitsamt eines Thüringer Landkreises weigerte sich, seine private Mobiltelefonnummer herauszugeben. Der Arbeitgeber hatte die Rufbereitschaft aus Kostengründen abgeschafft und wollte stattdessen die Mitarbeiter über ihre privaten Handys in Notfällen erreichen. Als der Arbeitnehmer die Herausgabe verweigerte, erhielt er eine Abmahnung.
Hintergrund der Arbeitsorganisation
- Bis Ende 2016: Geregelte Rufbereitschaft mit Diensthandy
- Ab 2017: Rufbereitschaft nur noch tagsüber (7:00-19:00 Uhr)
- Nachts (19:01-5:59 Uhr): Zufällige Kontaktaufnahme über private Handys
- Grund: Kosteneinsparung beim Arbeitgeber
Die Rechtslage: Datenschutz schützt Arbeitnehmer
Grundsätze der Datenerhebung im Arbeitsverhältnis
Das Gericht stellte klar: Die Erhebung personenbezogener Daten (wie Mobiltelefonnummern) ist nur zulässig, wenn sie:
- Erforderlich für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses ist
- Verhältnismäßig im Hinblick auf den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte
- Durch eine Einwilligung des Arbeitnehmers gedeckt ist
Warum die Mobiltelnummer besonders schützenswert ist
Die Richter betonten, dass Mobiltelefonnummern besonders sensible Daten darstellen:
- Ermöglichen jederzeit und überall Kontaktaufnahme
- Betreffen die private Freizeit des Arbeitnehmers
- Arbeitnehmer kann sich der Erreichbarkeit kaum entziehen
- Selbstbestimmung über Kommunikation wird eingeschränkt
Urteil: Abmahnung war unrechtmäßig
Das Thüringer Landesarbeitsgericht entschied eindeutig zugunsten des Arbeitnehmers.
Zentrale Aussagen des Urteils
- Kein Anspruch auf Herausgabe: Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf die private Mobiltelefonnummer.
- Datenschutz geht vor: Die Datenerhebung verstößt gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen.
- Abmahnung unrechtmäßig: Die erteilte Abmahnung muss aus der Personalakte entfernt werden.
Begründung der Richter
„Grundsätzlich entscheidet jeder Arbeitnehmer selbst, für wen, wann und wo er durch Bekanntgabe der Mobiltelefonnummer erreichbar sein will.“
Die selbstgeschaffene Organisationslücke des Arbeitgebers rechtfertige nicht den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten.
Praktische Auswirkungen für Arbeitgeber
Was Arbeitgeber nicht dürfen
- Private Handynummern ohne Einwilligung erfassen
- Abmahnungen wegen Verweigerung der Herausgabe aussprechen
- Mitarbeiter zur ständigen Erreichbarkeit in der Freizeit verpflichten
- Eigene Kosteneinsparungen zulasten der Arbeitnehmerrechte durchsetzen
Zulässige Alternativen
Arbeitgeber können stattdessen:
- Geregelte Rufbereitschaft mit Diensthandys einrichten
- Freiwillige Vereinbarungen mit entsprechender Vergütung treffen
- Andere Kontaktmöglichkeiten nutzen (Festnetz, Wohnadresse)
- Organisatorische Maßnahmen zur Notfallabdeckung implementieren
Rechte von Arbeitnehmern
Schutz der Privatsphäre
Arbeitnehmer haben das Recht:
- Nein zu sagen zur Herausgabe der Mobiltelefonnummer
- Selbst zu entscheiden, wer sie privat kontaktieren darf
- Ihre Freizeit ohne Arbeitgeberkontakt zu verbringen
- Unrechtmäßige Abmahnungen entfernen zu lassen
Was bei Problemen zu tun ist
- Herausgabe verweigern und auf Datenschutz berufen
- Schriftlich widersprechen bei unrechtmäßigen Forderungen
- Rechtlichen Rat einholen bei Abmahnungen
- Betriebsrat oder Gewerkschaft informieren
Ausblick: Entwicklung der Rechtsprechung
Bedeutung für die Praxis
Dieses Urteil stärkt die Arbeitnehmerrechte im digitalen Zeitalter erheblich. Es zeigt, dass:
- Kosteneinsparungen nicht über Persönlichkeitsrechte gestellt werden dürfen
- Datenschutz im Arbeitsverhältnis ernst genommen wird
- Arbeitgeber ihre Organisation entsprechend anpassen müssen
Aktuelle Entwicklungen
Mit der DSGVO und verschärften Datenschutzbestimmungen ist der Schutz personenbezogener Daten noch wichtiger geworden. Arbeitgeber müssen heute noch sorgfältiger abwägen, welche Daten sie von ihren Mitarbeitern verlangen können.
Fazit: Datenschutz geht vor Kostenersparnis
Das Thüringer Landesarbeitsgericht hat ein klares Signal gesendet: Die private Mobiltelefonnummer ist kein Allgemeingut des Arbeitgebers. Arbeitnehmer haben das Recht auf Privatsphäre und Selbstbestimmung über ihre Erreichbarkeit. Arbeitgeber müssen alternative Lösungen finden, statt die Persönlichkeitsrechte ihrer Mitarbeiter zu verletzen.
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