Urlaubsverfall im öffentlichen Dienst: Wichtige Klarstellungen des Bundesarbeitsgerichts
BAG – Urteil vom 28. Januar 2025 (Az. 9 AZR 66/24)
Das Wichtigste in Kürze
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat wichtige Fragen zum Verfall von tariflichem Mehrurlaub im öffentlichen Dienst geklärt. Die Entscheidung betrifft insbesondere Beschäftigte in forstwirtschaftlichen Verwaltungen und hat weitreichende Bedeutung für das gesamte Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.
Der Fall: Streit um zehn Tage Mehrurlaub
Ein als schwerbehinderter Mensch anerkannter Forstwirt klagte gegen seinen Arbeitgeber auf Gutschreibung von zehn Tagen tariflichem Mehrurlaub aus dem Jahr 2021. Der Kläger hatte insgesamt 35 Urlaubstage pro Jahr (20 Tage gesetzlicher Urlaub, 10 Tage tariflicher Mehrurlaub und 5 Tage Schwerbehindertenzusatzurlaub).
Die Ausgangssituation
- Der Kläger wollte im Mai 2022 seinen Resturlaub aus 2021 nehmen.
- Aus betrieblichen Gründen verzichtete er freiwillig auf die Urlaubsnahme.
- Am 11. Mai 2022 erlitt er einen Arbeitsunfall und war bis 30. November 2022 arbeitsunfähig.
- Der Arbeitgeber erklärte den tariflichen Urlaub zum 30. September 2022 für verfallen.
Zentrale Rechtsfragen und Entscheidung
1. Wirkung von Verwaltungsvorschriften
Das BAG stellte klar, dass Verwaltungsvorschriften grundsätzlich keine unmittelbare Außenwirkung haben. Das Schreiben des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 7. Februar 2001, welches die Anwendung beamtenrechtlicher Regelungen auf Tarifbeschäftigte gestattete, entfaltet für sich genommen keine bindende Wirkung gegenüber Arbeitnehmern.
Wichtig: Eine wirksame Umsetzung durch den jeweiligen Arbeitgeber ist erforderlich – etwa durch:
- Einzelvertragliche Vereinbarungen
- Gesamtzusagen
- Betriebliche Übung
2. Günstigkeitsprinzip bei Tarifverträgen
Bei Kollisionen zwischen Tarifrecht und Arbeitsvertragsrecht greift das Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 TVG. Das Gericht führte einen sogenannten „Sachgruppenvergleich“ durch und kam zu dem Ergebnis:
Die beamtenrechtlichen Regelungen (§ 8 NEUrlVO) sind gegenüber den Tarifbestimmungen (§ 26 TV-L-Forst) nicht eindeutig günstiger, sondern ambivalent, da:
- Längere Verfallfrist (bis 30. September des Folgejahres vs. 31. März/31. Mai)
- Aber: Keine Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers erforderlich
3. Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Das BAG betonte die Aufklärungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers:
„Der Arbeitgeber muss konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Urlaub zu nehmen.“
Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber diese Pflichten durch monatliche Hinweise auf den
drohenden Urlaubsverfall erfüllt.
Praktische Konsequenzen für Arbeitgeber
Do’s:
- Rechtzeitige und klare Hinweise auf Verfallfristen geben
- Dokumentation der Mitwirkungsobliegenheiten
- Eindeutige vertragliche Regelungen zur Anwendung beamtenrechtlicher Vorschriften
- Transparente Kommunikation über Urlaubsstände
Don’ts:
- Sich allein auf Verwaltungsvorschriften verlassen
- Verfallfristen ohne vorherige Aufklärung eintreten lassen
- Unklare oder widersprüchliche Regelungen treffen
Bedeutung für Arbeitnehmer
Ihre Rechte:
- Anspruch auf konkrete Aufklärung über Verfallfristen
- Schutz bei Arbeitsunfähigkeit für gesetzlichen Mindesturlaub
- Möglichkeit der Berufung auf günstigere Regelungen bei eindeutiger Vereinbarung
Handlungsempfehlungen:
- Arbeitsvertrag prüfen: Welche Urlaubsregelungen gelten konkret?
- Fristen beachten: Auch bei betriebsbedingten Verschiebungen
- Dokumentation: Vereinbarungen zur Urlaubsverschiebung schriftlich festhalten
- Rechtsberatung: Bei unklaren Regelungen frühzeitig Hilfe suchen
Rechtsmissbrauch ausgeschlossen
Das Gericht verneinte einen Rechtsmissbrauch seitens des Arbeitgebers. Der freiwillige Verzicht auf Urlaub aus Rücksicht auf betriebliche Belange begründet keinen Anspruch auf Verlängerung der Verfallfristen, wenn später eine Arbeitsunfähigkeit eintritt.
Fazit und Ausblick
Die Entscheidung des BAG bringt wichtige Klarstellungen für die Praxis:
- Verwaltungsvorschriften bedürfen der konkreten Umsetzung.
- Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bleiben zentral.
- Günstigkeitsprüfung erfolgt abstrakt, nicht im Einzelfall.
- Rechtsmissbrauch liegt bei freiwilligem Urlaubsverzicht regelmäßig nicht vor.
Die Sache wurde zur neuen Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, das nun die tatsächlichen Gegebenheiten der vertraglichen Umsetzung prüfen muss.
Haben Sie Fragen zum Urlaubsrecht?
Als erfahrene Arbeitsrechtskanzlei in Leipzig unterstützen wir Sie gerne bei allen Fragen rund um:
- Urlaubsansprüche und Verfallfristen
- Tarifrecht im öffentlichen Dienst
- Arbeitsrechtliche Streitigkeiten
- Vertragsgestaltung und -prüfung
Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Erstberatung:
- Telefon: 0341 697 687-0
- E-Mail: kontakt@wkr-anwalt.de
- Adresse: Gutenbergstraße 25 / 04177 Leipzig
Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen wenden Sie sich bitte an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Keywords: Urlaubsverfall, Tarifrecht, öffentlicher Dienst, Bundesarbeitsgericht, Arbeitsrecht Leipzig, Urlaubsanspruch, TV-L, Verwaltungsvorschriften, Mitwirkungsobliegenheiten

