Abfindung aus Sozialplan: Wann zählt die Betriebszugehörigkeit bei verschiedenen Konzernunternehmen?
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg sorgt für Klarheit bei Sozialplan-Abfindungen
Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 22.06.2023 (Az. 3 Sa 54/22) eine wichtige Entscheidung zur Berechnung von Abfindungen aus Sozialplänen getroffen. Die Entscheidung klärt, unter welchen Umständen frühere Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden müssen.
Der Fall: Eigenkündigung und spätere Konzernzusammenführung
Die Klägerin war zunächst von Juli 2010 bis Oktober 2013 bei einem Unternehmen der D.-Gruppe beschäftigt. Sie kündigte eigenständig und wechselte nahtlos zum Konkurrenzunternehmen A. L. GmbH. Erst Jahre später wurden beide Unternehmen durch Übernahmen Teil desselben Konzerns. Als die Integration zu Stellenabbau führte, entstand ein Sozialplan. Die zentrale Streitfrage: Muss die frühere Beschäftigungszeit bei der Berechnung der Abfindung berücksichtigt werden, obwohl das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung beendet wurde?
Die Entscheidung des Gerichts: Eigenkündigung unterbricht den Zusammenhang
Das Landesarbeitsgericht Hamburg entschied zugunsten der Arbeitgeberin und stellte drei wesentliche Grundsätze auf:
1. Eigenkündigung verhindert Anrechnung der Beschäftigungszeit
Auch wenn der Sozialplan ausdrücklich vorsieht, dass nur Unterbrechungen von mehr als sechs Monaten schädlich sind, führt eine Eigenkündigung zum Verlust des erforderlichen Zusammenhangs zwischen den Arbeitsverhältnissen. Die bloße zeitliche Nahtlosigkeit reicht nicht aus.
2. Maßgeblich ist der durch die Betriebsänderung verlorene Besitzstand
Sozialpläne sollen wirtschaftliche Nachteile ausgleichen, die durch Betriebsänderungen entstehen. Geht ein Besitzstand bereits durch Eigenkündigung verloren – nicht erst durch die Betriebsänderung- ist er nicht schutzwürdig.
3. Nachträgliche Konzernverbindung ändert nichts
Dass die ursprünglich konkurrierenden Unternehmen später zum selben Konzern gehören, lässt den durch Eigenkündigung verlorenen Besitzstand nicht wieder aufleben. Für die Arbeitnehmerin stellte dies ein „reines Zufallsergebnis“ dar.
Praktische Konsequenzen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Für Arbeitnehmer:
- Bei Eigenkündigung gehen erworbene Ansprüche auf Anrechnung der Beschäftigungszeit
- grundsätzlich verloren
- Nachträgliche Konzernzusammenschlüsse können diese Ansprüche nicht wiederherstellen
- Ausnahme: Ausdrückliche vertragliche Vereinbarung über die Anrechnung
Für Arbeitgeber:
- Klarstellung bei der Auslegung von Sozialplan-Regelungen
- Rechtssicherheit bei der Berechnung von Abfindungen
- Bestätigung, dass Zufallsergebnisse nicht zu ungerechtfertigten Mehrkosten führen
Bedeutung für die Sozialplan-Praxis
Die Entscheidung zeigt, wie wichtig die präzise Formulierung von Sozialplan-Regelungen ist. Betriebsparteien sollten bei der Ausgestaltung von Abfindungsregelungen folgende Punkte beachten:
- Klare Definition der Betriebszugehörigkeit: Was genau soll angerechnet werden?
- Umgang mit Unterbrechungen: Wann liegt eine schädliche Unterbrechung vor?
- Berücksichtigung von Konzernstrukturen: Sollen auch frühere Konkurrenzunternehmen erfasst werden?
Expertentipp: Rechtsberatung bei Sozialplan-Verhandlungen
Sowohl Arbeitnehmervertreter als auch Arbeitgeber sollten sich bei Sozialplan-Verhandlungen fachkundig beraten lassen. Die Formulierung scheinbar einfacher Begriffe wie „Betriebszugehörigkeit“ kann erhebliche finanzielle Auswirkungen haben.
Fazit: Eigenverantwortung hat Konsequenzen
Das Urteil macht deutlich: Wer sein Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung beendet, muss mit dem Verlust erworbener Ansprüche rechnen. Nachträgliche Entwicklungen, wie die Zusammenführung von Unternehmen, können diese Konsequenzen nicht rückgängig machen. Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit bei der Auslegung von Sozialplänen und bestätigt, dass der Zweck solcher Regelungen – der Ausgleich durch Betriebsänderungen verursachter Nachteile – nicht überdehnt werden darf.
Rechtsquelle: Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 22.06.2023, Az. 3 Sa 54/22
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