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Diensthaftung bei der Bundeswehr: Grobe Fahrlässigkeit bei Rückwärtsfahrt führt zu Schadensersatzpflicht

VG Würzburg bestätigt Schadensersatzforderung SoldatenUrteil vom 23.08.2022 (Az. W 1 K 22.584)

Das Wichtigste in Kürze

Das Verwaltungsgericht Würzburg hat entschieden, dass ein Bundeswehrsoldat nach einem selbstverschuldeten Unfall mit einem Dienstfahrzeug den entstandenen Schaden in Höhe von 8.823,26 Euro ersetzen muss. Das Gericht sah eine grobe Fahrlässigkeit als erwiesen an, da bei der Rückwärtsfahrt gegen grundlegende Sorgfaltspflichten verstoßen wurde.

Der Sachverhalt: Unfall beim Rückwärtsfahren auf Truppenübungsplatz

Am 15. Juli 2019 ereignete sich auf dem Truppenübungsplatz ein folgenschwerer Unfall: Ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr fuhr mit einem Dienstfahrzeug (Mercedes Sprinter) rückwärts und kollidierte dabei mit einem anderen Bundeswehrfahrzeug. Der Soldat wollte eine offene Tür an einem Übungsgebäude schließen lassen und setzte dafür zurück.

Besondere Umstände des Falls:

  • Fahrzeugtyp: M8 Sprinter mit eingeschränkter Sicht (Doppelkabine)
  • Sichtverhältnisse: Nur Seitenspiegel, kein Innenrückspiegel
  • Zeitpunkt: Nach Dienstschluss auf dem Übungsgelände
  • Schaden: 8.823,26 Euro an beiden Fahrzeugen

Rechtliche Grundlagen der Diensthaftung

§ 24 Abs. 1 Satz 1 Soldatengesetz (SG)

Nach dieser Vorschrift haftet ein Soldat für Schäden, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig bei der Verletzung seiner Dienstpflichten verursacht. Die Haftung umfasst:

  • Vorsätzliche Pflichtverletzungen
  • Grob fahrlässige Pflichtverletzungen
  • Schäden beim Dienstherrn

Treuepflicht nach § 7 SG

Soldaten sind verpflichtet, Schäden vom Dienstherrn abzuwenden und schädigende Handlungen zu unterlassen.

Was ist grobe Fahrlässigkeit?

Das Gericht definierte grobe Fahrlässigkeit als:

„schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, welches das gewöhnliche Maß erheblich
übersteigt“

Kriterien für grobe Fahrlässigkeit

  • Verletzung der Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich schwerem Maße
  • Unterlassung naheliegender Überlegungen
  • Missachtung von Verhaltenspflichten, die jedem einleuchten müssen

Besondere Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren

Gesetzliche Vorschriften:

  • § 9 Abs. 5 StVO: Gefährdung anderer muss ausgeschlossen sein
  • ZDV A-1050/11 (Ziffer 542): Einweiser bei eingeschränkter Sicht
  • ZDV A-1050/11 (Ziffer 501): Verantwortung des Fahrers

Warum Rückwärtsfahren besonders gefährlich ist

  1. Atypischer Verkehrsvorgang mit erhöhter Gefährlichkeit
  2. Eingeschränkte Sichtverhältnisse
  3. Besondere Sorgfaltspflichten erforderlich

Argumente der Verteidigung gescheitert

Der Soldat argumentierte vergeblich:

  • ❌ Dienstschluss und leerer Übungsplatz
  • ❌ Kontrolle über Seitenspiegel erfolgt
  • ❌ Schrittgeschwindigkeit auf dem Gelände
  • ❌ Fehlverhalten des anderen Fahrers

Warum diese Argumente nicht überzeugten

  • Anwesenheit anderer Fahrzeuge war nicht ausgeschlossen
  • Seitenspiegel reichen bei eingeschränkter Sicht nicht aus
  • Einweiser waren verfügbar (Mitfahrer)
  • Alternative Lösungen möglich (zu Fuß gehen)

Praktische Konsequenzen für Bundeswehrsoldaten

Vermeidung von Diensthaftung

  1. Einweiser nutzen bei eingeschränkter Sicht
  2. Dienstvorschriften genau beachten
  3. Erhöhte Sorgfalt beim Rückwärtsfahren
  4. Alternative Lösungen prüfen

Bedeutung für die Praxis:

  • Dienstvorschriften sind bindend
  • Kein Verlass auf „Dienstschluss“ oder „leeres Gelände“
  • Schadensersatz kann erheblich sein
  • Haftpflichtversicherung kann Leistung verweigern

Versicherungsrechtliche Aspekte

Die private Haftpflichtversicherung (DBV) des Soldaten verweigerte die Übernahme, da sie keine grobe Fahrlässigkeit anerkannte. Dies zeigt:

  • Wichtigkeit der korrekten rechtlichen Bewertung
  • Risiko für Soldaten bei groben Pflichtverletzungen
  • Notwendigkeit anwaltlicher Beratung

Fazit und Handlungsempfehlungen

Das Urteil verdeutlicht, dass bei Dienstfahrten der Bundeswehr höchste Sorgfalt geboten ist. Besonders beim Rückwärtsfahren müssen alle verfügbaren Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden.

Für Betroffene empfehlen wir:

  • Sofortige rechtliche Beratung bei Diensthaftungsfällen
  • Prüfung der Vorwürfe durch erfahrene Anwälte
  • Kontakt mit der Haftpflichtversicherung
  • Dokumentation aller Umstände

Rechtliche Unterstützung bei Diensthaftung

Soldaten, die mit Diensthaftungsvorwürfen konfrontiert werden, sollten nicht zögern, rechtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Abgrenzung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit ist komplex und erfordert fundierte juristische Expertise.

Unsere Kanzlei verfügt über umfassende Erfahrung im Bereich der Diensthaftung und unterstützt Bundeswehrangehörige bei der Abwehr ungerechtfertigter Ansprüche.


Quelle: VG Würzburg, Urteil vom 23.08.2022 – W 1 K 22.584

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WKR Rechtsanwaltsgesellschaft mbH