BGH-Urteil zu Lärmbelästigung: Wann ist eine fristlose Kündigung wegen Ruhestörung rechtens?
Das Wichtigste in Kürze
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Beschluss vom 22. Juni 2021 (Az. VIII ZR 134/20) wichtige Grundsätze zur fristlosen Kündigung wegen Lärmbelästigung aufgestellt und dabei besonders das Recht auf rechtliches Gehör gestärkt. Das Urteil zeigt auf, welche Anforderungen an die Darlegung von Ruhestörungen gestellt werden und wann Gerichte Zeugenbeweise erheben müssen.
Der Fall: Mehrfamilienhaus mit Lärmbelästigung
Ausgangssituation
- Mietbeginn: 2005 in Köln
- Familiensituation: Drei Erwachsene und zwei Kinder in einer Wohnung
- Beschwerden: Abmahnungen im März und Mai 2017 wegen Lärmbelästigung
- Kündigungen: Ordentliche Kündigung (Juni 2017) und fristlose Kündigung (September 2017)
Die strittigen Lärmstörungen
Die Vermieterin dokumentierte verschiedene Ruhestörungen:
- Nächtlicher Lärm (20:30 Uhr bis nach Mitternacht): „lautes Schreien, Stampfen, Türenschlagen und Poltern“
- Mittagsruhe gestört: Auseinandersetzung mit Nachbarn, die zur Strafanzeige führte
- Weitere Lärmquellen: Trompetenspielen, Möbelrücken, „lautes Rumgerenne“
BGH: Verletzung des rechtlichen Gehörs
Kernkritik des BGH
Das Berufungsgericht hatte einen entscheidenden Verfahrensfehler begangen:
- Unvollständige Würdigung: Das Gericht berücksichtigte nur „lautes Trampeln“ aus dem Lärmprotokoll
- Ignoriertes Vorbringen: Schreien, Türenschlagen und Poltern wurden nicht bewertet
- Überhöhte Anforderungen: Verlangen nach Angabe, „was genau“ in der Wohnung passiert sei
- Fehlende Beweiserhebung: Zeugenvernehmung wurde verweigert
Rechtliche Grundsätze zur Darlegungslast
Der BGH stellte klar:
Substantiierungsanforderungen: Ein Sachvortrag ist schlüssig, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die geeignet sind, das geltend gemachte Recht entstehen zu lassen. Nähere Einzelheiten sind nicht erforderlich, soweit sie für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind.
Fristlose Kündigung wegen Lärmbelästigung: Die Rechtslage
Voraussetzungen nach § 543 Abs. 1 BGB
Eine fristlose Kündigung ist möglich bei:
- Wichtigem Grund unter Berücksichtigung aller Umstände
- Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses
- Nachhaltiger Störung des Hausfriedens (§ 569 Abs. 2 BGB)
Abwägungskriterien
Das Gericht muss folgende Faktoren berücksichtigen:
- Art, Intensität, Häufigkeit und Dauer der Lärmstörungen
- Verschulden der Vertragsparteien
- Beiderseitige Interessen
- Vermeidbarkeit der Störungen
Besonderheiten bei Kinderlärm
Erhöhte Toleranzgrenze
Der BGH betont: Kinderlärm ist grundsätzlich hinzunehmen, aber:
- Grenzen der Toleranz: Auch bei Kindern gibt es Limits
- Einzelfallprüfung erforderlich unter Berücksichtigung von:
- Art, Qualität, Dauer und Zeit der Geräusche
- Alter und Gesundheitszustand des Kindes
- Vermeidbarkeit durch erzieherische Maßnahmen
Praktische Konsequenzen für Vermieter
Dokumentation von Lärmstörungen
- Detailliertes Lärmprotokoll führen
- Zeugen benennen (Nachbarn, Hausverwalter)
- Art der Störung konkret beschreiben
- Zeitpunkt und Dauer festhalten
Darlegungsanforderungen
Vermieter müssen nicht beweisen:
- Was genau in der Wohnung passiert
- Wer konkret den Lärm verursacht
- Detaillierte Innenansicht der Mieterwohnung
Ausreichend sind:
- Beschreibung der hörbaren Lärmemissionen
- Zeitliche Eingrenzung
- Benennung von Zeugen
- Dokumentation der Häufigkeit
Verfahrenshinweise für die Praxis
Für Vermieter
- Sorgfältige Dokumentation aller Lärmstörungen
- Zeugen früh benennen und deren Bereitschaft klären
- Abmahnung vor Kündigung aussprechen
- Rechtsbeistand bei komplexen Fällen hinzuziehen
Für Mieter
- Stellungnahme zu Lärmvorwürfen abgeben
- Eigene Zeugen benennen
- Kinderlärm-Privileg geltend machen
- Verhältnismäßigkeit der Kündigung rügen
Bedeutung für die Rechtspraxis
Dieses BGH-Urteil stärkt die Rechte der Vermieter bei der Durchsetzung von Lärmkündigungen, indem es:
- Die Substantiierungsanforderungen präzisiert
- Überhöhte Darlegungslasten verhindert
- Das Recht auf rechtliches Gehör stärkt
- Klare Verfahrensvorgaben für Gerichte schaf
Fazit: Ausgewogener Schutz aller Beteiligten
Der BGH schafft mit diesem Urteil einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen lärmgeplagter Vermieter und dem Schutz von Mietern vor ungerechtfertigten Kündigungen. Vermieter müssen ihre Lärmvorwürfe substantiiert vortragen, aber nicht das Unmögliche beweisen. Gerichte sind verpflichtet, alle vorgetragenen Störungen zu würdigen und bei hinreichendem Vortrag Zeugen zu vernehmen.
Dieser Artikel ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen wenden Sie sich an einen Fachanwalt für Mietrecht.
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