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BGH-Urteil: Fiktive Schadensberechnung im Mietrecht bleibt zulässig

BGH-Urteil vom 19.04.2023 | Az.: VIII ZR 280/21

Das Wichtigste in Kürze

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem wegweisenden Urteil vom 19. April 2023 entschieden, dass Vermieter auch nach Beendigung des Mietverhältnisses Schadensersatzansprüche anhand fiktiver Kosten berechnen dürfen. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen Mieter Schönheitsreparaturen oder Rückbauten nicht durchgeführt haben.

Hintergrund des Falls

Die Beklagten waren bis zum 31. Dezember 2017 Mieter einer Wohnung und gaben diese am 2. Januar 2018 zurück. Der Vermieter forderte verschiedene Arbeiten:

  • Durchführung von Schönheitsreparaturen
  • Erneuerung von Wandfliesen in der Küche
  • Streichen der Wand im Treppenhaus
  • Rückbauarbeiten bezüglich verlegter Fliesen und PVC-Belag
  • Reparatur der Wohnungseingangstür

Da die Mieter diesen Aufforderungen nicht nachkamen, klagte der Vermieter auf Schadensersatz basierend auf einem Kostenvoranschlag über 7.961,35 € (netto).

Die Entscheidung des BGH

Zentrale Aussage des Urteils

Der BGH stellte klar: Vermieter können Schadensersatzansprüche auch nach Ende des Mietverhältnisses anhand der für die Instandsetzung erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Kosten bemessen.

Abgrenzung zum Werkvertragsrecht

Das Berufungsgericht hatte argumentiert, die geänderte Rechtsprechung des VII. Zivilsenats zum
Werkvertragsrecht müsse auch im Mietrecht gelten. Der BGH widersprach dieser Ansicht deutlich:

Die Erwägungen des VII. Zivilsenats beruhen allein auf den Besonderheiten des
Werkvertragsrechts und sind auf andere Vertragstypen nicht übertragbar.

Rechtliche Grundlagen der Entscheidung

Anwendbare Paragraphen

Die fiktive Schadensberechnung ist zulässig bei Ansprüchen aus:

  • § 280 Abs. 1, 3 BGB in Verbindung mit § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB (Schadensersatz statt der Leistung)
  • § 280 Abs. 1 BGB (Schadensersatz neben der Leistung)
  • § 823 Abs. 1 BGB (Schäden an der Mietsache)

Unterscheidung der Schadensarten

Der BGH differenziert zwischen zwei Arten von Schadensersatzansprüchen:

  1. Schadensersatz statt der Leistung: Bei nicht durchgeführten Schönheitsreparaturen oder Rückbauten
  2. Schadensersatz neben der Leistung: Bei Beschädigungen der Mietsache (z.B. Wandfliesen)

Schutz vor Überkompensation

Grenzen der fiktiven Abrechnung

Der BGH betont, dass die Gefahr einer Überkompensation durch folgende Mechanismen begrenzt wird:

  • Der Geschädigte darf nur die zur Erfüllung der Leistungspflicht erforderlichen Kosten beanspruchen.
  • Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine Inhaltsbegrenzung.
  • Die Kosten müssen angemessen und erforderlich sein.

Praktische Bedeutung für Vermieter

Was Vermieter beachten sollten

  1. Kostenvoranschläge einholen: Detaillierte und realistische Kostenvoranschläge von Fachbetrieben
  2. Dokumentation: Sorgfältige Dokumentation des Zustands bei Übergabe
  3. Angemessenheit prüfen: Die geforderten Arbeiten müssen tatsächlich erforderlich sein
  4. Rechtliche Beratung: Bei größeren Schadenssummen anwaltliche Beratung einholen

Vorteile der fiktiven Abrechnung

  • Sofortige Geltendmachung ohne vorherige Durchführung der Arbeiten
  • Planungssicherheit für anstehende Renovierungen
  • Keine Vorleistungspflicht des Vermieters

Abgrenzung zu anderen Ansprüchen

Kostenvorschuss nach Mietende

Der BGH stellte klar, dass bei beendetem Mietverhältnis kein Anspruch auf Kostenvorschuss besteht. Anders verhält es sich während eines laufenden Mietverhältnisses, wo unter bestimmten Voraussetzungen Vorschussansprüche entstehen können.

Beweislast bei Schäden

Bei behaupteten Schäden (wie der Wohnungseingangstür im entschiedenen Fall) muss der Vermieter beweisen, dass der Schaden während der Mietzeit entstanden ist.

Auswirkungen auf die Rechtspraxis

Stärkung der Vermieterrechte

Das Urteil stärkt die Position von Vermietern erheblich, da sie nicht mehr zwingend in Vorleistung gehen müssen, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

Relevanz für Mietverträge

Vermieter sollten ihre Mietverträge überprüfen und sicherstellen, dass:

  • Schönheitsreparatur-Klauseln wirksam sind
  • Rückbauverpflichtungen klar definiert sind
  • Übergabeprotokolle sorgfältig geführt werden

Fazit und Handlungsempfehlungen

Das BGH-Urteil vom 19. April 2023 ist ein wichtiger Erfolg für Vermieter. Die fiktive Schadensberechnung bleibt im Mietrecht weiterhin zulässig, was Vermietern mehr Flexibilität und rechtliche Sicherheit verschafft.

Empfehlungen für Vermieter:

  1. Professionelle Kostenvoranschläge einholen und aufbewahren
  2. Übergabeprotokolle detailliert führen
  3. Fristen beachten für die Geltendmachung von Ansprüchen
  4. Bei Unsicherheiten rechtlichen Rat einholen

Empfehlungen für Mieter:

  1. Sorgfältige Übergabe der Wohnung
  2. Dokumentation des Zustands bei Ein- und Auszug
  3. Rechtzeitige Durchführung vereinbarter Schönheitsreparaturen
  4. Bei Streitigkeiten anwaltliche Beratung suchen

Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen wenden Sie sich bitte an einen Fachanwalt.

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