BGH-Urteil: Zutrittsrecht des Vermieters bei psychisch erkrankten Mietern – Was Vermieter wissen müssen
BGH-Urteil vom 26.04.2023 – VIII ZR 420/21
Das Wichtigste in Kürze
Der Bundesgerichtshof hat in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass das Zutrittsrecht des Vermieters auch bei psychischen Erkrankungen des Mieters grundsätzlich besteht. Jedoch müssen die Gerichte bei schwerwiegenden Gesundheitsrisiken alle verfügbaren Alternativen prüfen, bevor sie das Zutrittsrecht verweigern.
Hintergrund des Falls
Eine Vermieterin wollte ihre Wohnung verkaufen und verlangte von der psychisch schwer erkrankten Mieterin Zutritt für Besichtigungen mit Maklern und Kaufinteressenten. Die Mieterin litt unter:
- Komplexen psychischen Störungen mit Depressionen
- Angstzuständen und Zwängen
- Dissoziativen Störungen
- Mehrfachen Suizidversuchen in der Vergangenheit
Der Mietvertrag enthielt eine entsprechende Zutrittsklausel für Verkaufszwecke.
Die Rechtslage: Zutrittsrecht des Vermieters
Grundsätzliches Betretungsrecht
Der BGH bestätigt die etablierte Rechtsprechung:
Vermieter haben ein Zutrittsrecht, wenn:
- Ein konkreter sachlicher Grund vorliegt
- Eine angemessene Vorankündigung erfolgt
- Der Zeitpunkt verkehrsüblich ist (Werktage, 10-18 Uhr)
Rechtliche Grundlagen:
- Vertragliche Vereinbarung (Mietvertrag)
- § 242 BGB (Treu und Glauben)
- Art. 14 GG (Eigentumsrecht des Vermieters)
Berechtigte Anlässe für Wohnungsbesichtigungen
Folgende Gründe rechtfertigen das Zutrittsrecht:
- Verkaufsabsicht (wie im vorliegenden Fall)
- Modernisierungsmaßnahmen
- Reparaturen und Instandhaltung
- Nachvermietung bei Kündigungen
- Zustandsprüfungen
Grenzen des Zutrittsrechts bei Gesundheitsrisiken
Verfassungsrechtliche Abwägung
Das Gericht muss abwägen zwischen:
Vermieterinteressen (Art. 14 GG):
- Eigentumsrecht
- Verwertungsmöglichkeit der Immobilie
- Wirtschaftliche Interessen
Mieterrechte:
- Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung)
- Art. 2 Abs. 2 GG (Recht auf Leben und Gesundheit)
- Art. 14 GG (Besitzrecht an der Mietwohnung)
Besondere Sorgfaltspflichten bei Gesundheitsrisiken
Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen müssen Gerichte:
- Sachverständigengutachten einholen
- Alle Alternativen prüfen
- Die Abwägung auf eine tragfähige Grundlage stellen
Die Entscheidung des BGH: Verfahrensfehler bei der Beweiswürdigung
Kritik an der Vorinstanz
Das Berufungsgericht hatte das psychiatrische Gutachten nicht vollständig gewürdigt. Übersehen wurde:
Alternative Lösungsmöglichkeiten:
- Vertretung der Mieterin durch Vertrauensperson
- Vertretung durch Rechtsanwalt
- Reduzierte Gesundheitsrisiken bei Nicht-Anwesenheit
Zurückverweisung für neue Prüfung
Der BGH verwies den Fall zurück, damit geprüft wird, ob:
- Eine Vertretung der Mieterin das Gesundheitsrisiko signifikant reduziert
- Weniger belastende Alternativen möglich sind
- Das Zutrittsrecht unter bestimmten Bedingungen doch gewährt werden kann
Praktische Konsequenzen für Vermieter
Was Vermieter beachten sollten
Bei psychisch erkrankten Mietern:
- Frühzeitige Kommunikation über geplante Besichtigungen
- Flexible Termingestaltung und Rücksichtnahme
- Alternative Lösungen anbieten (Vertretung, reduzierte Personenzahl)
- Ärztliche Atteste ernst nehmen und prüfen lassen
Empfohlenes Vorgehen:
- Schriftliche, höfliche Ankündigung (mindestens 1 Woche vorher)
- Angebot alternativer Besichtigungsformen
- Bei Verweigerung: Rechtliche Beratung einholen
- Gerichtliche Durchsetzung nur als letztes Mittel
Mietvertragsgestaltung
Zutrittsklauseln sollten enthalten:
- Konkrete Anlässe für Besichtigungen
- Angemessene Ankündigungsfristen
- Zeitliche Beschränkungen
- Rücksichtnahme auf besondere Umstände
Auswirkungen auf die Mietrechtspraxis
Stärkung der Mieterrechte
Das Urteil zeigt: Gesundheitsschutz hat hohen Stellenwert
- Gerichte müssen alle Umstände sorgfältig prüfen
- Pauschale Ablehnungen sind nicht zulässig
- Alternative Lösungen sind zu suchen
Rechtssicherheit für Vermieter
Gleichzeitig bestätigt der BGH:
- Grundsätzliches Zutrittsrecht bleibt bestehen
- Verkaufsabsicht ist berechtigter Grund
- Dauerhafte Verweigerung ist nicht hinnehmbar
Fazit und Handlungsempfehlungen
Für Vermieter
Das BGH-Urteil verdeutlicht: Augenmaß und Flexibilität sind entscheidend. Auch bei schwerwiegenden psychischen Erkrankungen des Mieters ist das Zutrittsrecht nicht automatisch ausgeschlossen. Entscheidend ist die sorgfältige Prüfung aller Umstände und die Suche nach praktikablen Alternativen.
Rechtliche Beratung empfehlenswert
In komplexen Fällen mit gesundheitlichen Problemen sollten Vermieter frühzeitig anwaltliche Beratung einholen. Dies vermeidet langwierige Gerichtsverfahren und schont alle Beteiligten.
Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung zu Ihrem Zutrittsrecht als Vermieter.
Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten Rechtsfragen wenden Sie sich an einen Fachanwalt für Mietrecht.
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