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Die WKR informiert: Interessante Urteile aus verschiedenen Rechtsgebieten, einschließlich der doppelten Rückschaupflicht beim Linksabbiegen und deren Bedeutung im Straßenverkehr. Die doppelte Rückschaupflicht ist dabei ein entscheidender Aspekt für die Sicherheit im Straßenverkehr..

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Überholverbot entbindet nicht von doppelter Rückschaupflicht beim Linksabbiegen

Verkehrsrecht aktuell: Das OLG Düsseldorf stellt in einem wegweisenden Urteil klar, dass ein bestehendes Überholverbot Linksabbieger nicht von ihrer Pflicht zur doppelten Rückschau entbindet.

Das Wichtigste zum Urteil im Überblick

  • Aktenzeichen: OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.04.2018 – I-1 U 86/17
  • Leitsatz: Ein Überholverbot entbindet den Linksabbieger nicht von der Pflicht zur doppelten Rückschau.
  • Relevante Vorschriften: § 9 Abs. 1 S. 4, Abs. 5 StVO

Der Unfallhergang

Der Fall betrifft einen Verkehrsunfall auf der R.straße in Kranenburg-Nütterden, bei dem ein Krankentransportwagen mit einem PKW kollidierte. Der Krankentransportwagen beabsichtigte nach links in eine Grundstückseinfahrt abzubiegen, während der dahinter fahrende PKW trotz bestehendem Überholverbot zum Überholen ansetzte. Dabei kam es zur Kollision zwischen beiden Fahrzeugen.

Die Rechtsfrage

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob ein Überholverbot den Linksabbieger von seiner Pflicht zur doppelten Rückschau entbindet. Der Fahrer des Krankentransportwagens hatte argumentiert, er habe nicht mit einem Überholmanöver rechnen müssen, da an der Unfallstelle ein Überholverbot galt.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Urteil klargestellt, dass die doppelte Rückschaupflicht nicht entfällt, nur weil ein Überholverbot besteht. Die Richter führten aus:

  1. Doppelte Rückschaupflicht gilt uneingeschränkt: Die Pflicht zur zweiten Rückschau soll möglichst uneingeschränkt gelten, da sie Unfälle verhütet und keine Überforderung darstellt.
  2. Enge Auslegung der Ausnahmen: Die Ausnahme des § 9 Abs. 1 Satz 4, zweiter Halbsatz StVO ist eng auf Fälle zu beschränken, in denen eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs aus baulichen Gründen ausgeschlossen ist – nicht jedoch, wenn sie nur aus rechtlichen Gründen (wie einem Überholverbot) unzulässig ist.
  3. Keine Entbindung von Sorgfaltspflichten: Selbst wenn ein Überholmanöver besonders verkehrswidrig wäre, führt dies nicht dazu, dass die Rückschaupflicht völlig entfällt.

Haftungsverteilung im Urteilsfall

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass beide Unfallbeteiligten ein etwa gleich hoch zu
bewertendes Mitverschulden an der Kollision trifft

  • Verschulden des PKW-Fahrers: Missachtung des Überholverbots (§ 5 Abs. 3 Ziffer 2 StVO) bzw. Überholen bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Ziffer 1 StVO).
  • Verschulden des Krankentransportwagen-Fahrers: Verletzung der besonderen Sorgfaltspflichten gemäß § 9 Abs. 5 StVO, da er den Abbiegevorgang nicht zurückstellte, obwohl er bei seiner zweiten Rückschau das herannahende Fahrzeug gesehen hatte.

Das Gericht setzte die Haftungsquote auf 50:50 fest.

Rechtliche Bewertung und Praxisrelevanz

Diese Entscheidung unterstreicht, dass Verkehrsteilnehmer auch bei bestehenden Verboten für
andere Verkehrsteilnehmer ihre eigenen Sorgfaltspflichten vollumfänglich erfüllen müssen. Der
Senat widersprach ausdrücklich der Auffassung des OLG Frankfurt (Urteil vom 11.01.2017 – 16 U
116/16), wonach ein Linksabbieger im Einzelfall von der Verpflichtung zur zweiten Rückschau
enthoben sein könnte, „wenn ein Linksüberholen im besonderen Maß verkehrswidrig wäre“

Fazit für die Verkehrspraxis

Für Verkehrsteilnehmer bedeutet dieses Urteil:

  1. Linksabbieger müssen stets die doppelte Rückschau durchführen – unabhängig von
    bestehenden Überholverboten
  2. Die erste Rückschau erfolgt vor dem Einordnen, die zweite unmittelbar vor dem Abbiegen
  3. Werden bei der zweiten Rückschau Anhaltspunkte für ein mögliches Überholmanöver erkannt,
    ist der Abbiegevorgang zurückzustellen
  4. Es darf nicht blind darauf vertraut werden, dass andere Verkehrsteilnehmer sich an bestehende
    Verbote halten

Dieses Urteil verdeutlicht einmal mehr, dass im Straßenverkehr höchste Aufmerksamkeit und
umsichtiges Handeln erforderlich sind, um Unfälle zu vermeiden – selbst wenn andere
Verkehrsteilnehmer gegen Verkehrsregeln verstoßen.


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