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Krankschreibung im Auslandsurlaub: Wann Arbeitgeber berechtigte Zweifel haben dürfen

Aktuelles BAG-Urteil vom 15.01.2025 stärkt Position der Arbeitgeber bei verdächtigen Umständen

Das Wichtigste auf einen Blick

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 15. Januar 2025 (Az. 5 AZR 284/24) entschieden, dass Arbeitgeber unter bestimmten Umständen den Beweiswert einer ausländischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern können. Das Gericht stellte klar: Eine Gesamtwürdigung aller verdächtigen Umstände kann auch bei formal korrekten Attesten zu berechtigten Zweifeln führen.

Der Fall: Verdächtige Krankschreibung in Tunesien

Ein Lagermitarbeiter verbrachte seinen Urlaub vom 22. August bis 9. September 2022 in Tunesien. Am 7. September 2022 ließ er sich dort wegen „schwerer Ischialbeschwerden“ krankschreiben – für 24 Tage mit strikter Bettruhe und Reiseverbot bis zum 30. September 2022.

Die verdächtigen Umstände im Überblick:

  • Timing: Krankschreibung erfolgte kurz vor dem geplanten Urlaubsende
  • Widersprüchliches Verhalten: Bereits einen Tag nach der Diagnose buchte der Arbeitnehmer ein Fährticket für den 29. September
  • Vorzeitige Rückreise: Trotz Reiseverbot trat er die über 30-stündige Heimreise an
  • Auffälliges Muster: Bereits vier Mal zuvor war der Mitarbeiter direkt nach dem Urlaub krankgeschrieben
  • Lange Krankschreibungsdauer: 24 Tage überschritten die üblichen zwei Wochen erheblich

Die Rechtslage: Beweiswert ausländischer
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Grundsätzliche Gleichstellung ausländischer Atteste

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Ausland haben grundsätzlich den gleichen Beweiswert wie deutsche Atteste. Voraussetzung ist jedoch, dass der ausländische Arzt zwischen bloßer Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit unterscheidet.

Erschütterung des Beweiswerts möglich

Anders als oft angenommen, begründet eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung. Arbeitgeber können den Beweiswert durch Vortrag entsprechender Indiztatsachen erschüttern – ohne die hohen Hürden eines Gegenbeweises erfüllen zu müssen.

Das BAG-Urteil: Gesamtwürdigung ist entscheidend

Fehler des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht München hatte jeden verdächtigen Umstand isoliert betrachtet und für unverfänglich befunden. Das BAG kritisierte dieses Vorgehen scharf: Eine rechtlich gebotene Gesamtwürdigung sei unterblieben.

Die Bedeutung der Gesamtschau

Das BAG stellte fest: „Auch wenn die jeweiligen Umstände für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, begründet das Zusammentreffen derart ungewöhnlicher Umstände in der Gesamtschau ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.“

Praktische Konsequenzen für Arbeitgeber

Wann dürfen Arbeitgeber Zweifel äußern?

Arbeitgeber sollten bei folgenden Umständen eine Gesamtwürdigung vornehmen:

  • Wiederholte Krankschreibungen im direkten Anschluss an Urlaube
  • Widersprüchliches Verhalten des Arbeitnehmers zur ärztlichen Anordnung
  • Ungewöhnlich lange Krankschreibungsdauer ohne erkennbare Begründung
  • Verdächtige Timing-Aspekte bei der Ausstellung der Bescheinigung

Anforderungen an den Arbeitgebervortrag

Das BAG betont: An den Vortrag des Arbeitgebers zur Erschütterung des Beweiswerts dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Arbeitgeber verfügen nur über eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten und müssen nicht den Gegenbeweis antreten.

Was passiert nach erschüttertem Beweiswert?

Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert zu erschüttern, muss der Arbeitnehmer konkrete Tatsachen zur Arbeitsunfähigkeit darlegen:

  • Konkrete Krankheitssymptome und deren Auswirkungen
  • Ärztliche Behandlungsmaßnahmen und Verhaltensregeln
  • Substantiierter Vortrag zur gesamten Krankheitsdauer

Bedeutung für die Praxis

Für Arbeitgeber

  • Verdächtige Umstände systematisch sammeln und dokumentieren
  • Gesamtwürdigung aller Indizien vornehmen
  • Nicht vorschnell Entgeltfortzahlung verweigern
  • Rechtliche Beratung bei komplexen Fällen einholen

Für Arbeitnehmer

  • Bewusstsein für die Außenwirkung des eigenen Verhaltens
  • Bei Auslandskrankschreibungen besondere Sorgfalt walten lassen
  • Widersprüchliches Verhalten vermeiden
  • Im Zweifel zusätzliche ärztliche Dokumentation einholen

Fazit: Stärkung der Arbeitgeberrechte

Das BAG-Urteil stärkt die Position der Arbeitgeber im Umgang mit verdächtigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die Entscheidung macht deutlich: Eine formell korrekte Krankschreibung schützt nicht automatisch vor berechtigten Zweifeln, wenn das Gesamtbild der Umstände diese rechtfertigt. Arbeitgeber sollten diese Rechtsprechung nutzen, um Missbrauch vorzubeugen – dabei aber stets verhältnismäßig und rechtssicher vorgehen. Eine fundierte rechtliche Beratung ist bei verdächtigen Fällen unerlässlich.


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Rechtsstand: Januar 2025

WKR Rechtsanwaltsgesellschaft mbH