Kündigung per Einwurf-Einschreiben: Neues BAG-Urteilverschärft Beweisprobleme für Arbeitgeber
BAG-Urteil vom 30. Januar 2025 (Az. 2 AZR 68/24)
Das Wichtigste in Kürze
Bundesarbeitsgericht stellt hohe Anforderungen an Nachweis des Kündigungszugangs –Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus reichen nicht aus
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 30. Januar 2025 klargestellt: Ein Einlieferungsbeleg für ein Einwurf-Einschreiben zusammen mit einem online abgefragten Sendungsstatus der Deutschen Post reichen nicht aus, um den Zugang einer Kündigung zu beweisen. Arbeitgeber tragen weiterhin das volle Beweisrisiko für den tatsächlichen Zugang ihrer Kündigungsschreiben.
Der Fall: Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin
Die Beklagte kündigte einer seit Mai 2021 beschäftigten Arbeitnehmerin zunächst im März 2022 außerordentlich fristlos. Nach Erhalt der Zustimmung des Regierungspräsidiums kündigte sie erneut am 26. Juli 2022 per Einwurf-Einschreiben. Die Arbeitnehmerin bestritt jedoch den Zugang dieser zweiten Kündigung.
Streitpunkt: Reicht der Anscheinsbeweis?
Position des Arbeitgebers
Die Beklagte argumentierte, sie habe einen Anscheinsbeweis für den Zugang der Kündigung erbracht durch:
- Einlieferungsbeleg des Einwurf-Einschreibens vom 26. Juli 2022
- Online-Sendungsstatus mit Vermerk „Die Sendung wurde am 28.07.2022 zugestellt“
- Das pauschale Bestreiten der Arbeitnehmerin könne diesen Anscheinsbeweis nicht erschüttern
Entscheidung des BAG: Kein Anscheinsbeweis
Das Bundesarbeitsgericht wies diese Argumentation zurück und stellte fest:
1. Einlieferungsbeleg allein genügt nicht
- Ein Einlieferungsbeleg begründet keine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Zugang
- Die bloße Absendung beweist noch nicht den Zugang beim Empfänger
2. Sendungsstatus ist unzureichend
- Der online abgefragte Sendungsstatus ist „kein Ersatz für den Auslieferungsbeleg“
Es fehlen konkrete Angaben zu:
- Person des Zustellers
- Zustellungsart (persönlich, Briefkasten, andere Person)
- Genaue Uhrzeit und Adresse
- Einhaltung der Post-Verfahren
3. Fehlender Auslieferungsbeleg entscheidend
- Nur bei Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs könnte ein Anscheinsbeweis
- entstehen
- Die 15-Monats-Frist der Post für Belegkopien war bereits abgelaufen
Praktische Konsequenzen für Arbeitgeber
Sofortmaßnahmen bei Kündigungen
1. Auslieferungsbeleg rechtzeitig anfordern
- Innerhalb von 15 Monaten bei der Deutschen Post Kopie des Auslieferungsbelegs anfordern
- Besonders wichtig, wenn Arbeitnehmer Zugang bestreitet
2. Alternative Zustellwege wählen
- Persönliche Übergabe gegen Empfangsbestätigung
- Zustellung per Gerichtsvollzieher
- Übergabe durch Rechtsanwalt
3. Dokumentation verbessern
- Zeugen für Einwurf benennen
- Fotografische Dokumentation des Briefkastens
- Detaillierte Aufzeichnungen über Zustellungsversuche
Rechtssichere Kündigung: Checkliste
✅ Vor der Kündigung:
- Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen
- Bei Schwangeren: Zustimmung der Behörde einholen
- Zustellungsweg strategisch planen
✅ Bei der Zustellung:
- Persönliche Übergabe bevorzugen
- Bei Postversand: Einwurf-Einschreiben UND sofortige Beantragung des Auslieferungsbelegs
- Zeugen hinzuziehen
✅ Nach der Zustellung:
- Auslieferungsbeleg innerhalb 15 Monaten beantragen
- Bei bestrittenem Zugang: Sofortige rechtliche Beratung
Bedeutung für die Rechtspraxis
Verschärfung der Beweislage
Das Urteil verschärft die ohnehin schwierige Beweislage für Arbeitgeber erheblich. Die bisher häufig praktizierte Kombination aus Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus reicht nicht mehr aus.
Kostenfalle vermeiden
Arbeitgeber, die sich auf unzureichende Nachweise verlassen, riskieren:
- Unwirksamkeit der Kündigung
- Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
- Nachzahlung von Lohn und Sozialabgaben
- Prozesskosten
Handlungsempfehlungen
Für laufende Verfahren
- Sofortige Prüfung der Beweismittel in anhängigen Kündigungsschutzverfahren
- Nachträgliche Beantragung von Auslieferungsbelegen (falls Frist noch läuft)
- Ggf. Vergleichsverhandlungen erwägen
Für zukünftige Kündigungen
- Überarbeitung der internen Kündigungsprozesse
- Schulung der HR-Abteilung
- Frühzeitige anwaltliche Beratung
Fazit: Höchste Sorgfalt bei Kündigungen erforderlich
Das BAG-Urteil macht deutlich: Bei Kündigungen ist höchste Sorgfalt geboten. Arbeitgeber können sich nicht mehr darauf verlassen, dass Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus für einen Anscheinsbeweis ausreichen.
Unser Tipp: Lassen Sie sich vor jeder Kündigung anwaltlich beraten. Die Kosten einer präventiven Beratung sind deutlich geringer als die Folgekosten einer unwirksamen Kündigung.
Sie haben Fragen zu Kündigungen oder benötigen Unterstützung in einem Kündigungsschutzverfahren? Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung.

